4 Ehe und Ehelosigkeit (7,1-40)
4.1 Ehe – ja oder nein? (7,1-7)
(1) Wovon ihr aber geschrieben habt,
darauf antworte ich: Es ist gut für den Mann, keine Frau zu berühren. (2) Aber um Unzucht zu
vermeiden, soll jeder seine eigene Frau haben und jede Frau ihren eigenen
Mann. (3) Der
Mann leiste der Frau, was er ihr schuldig ist, desgleichen die Frau dem Mann.
(4) Die
Frau verfügt nicht über ihren Leib, sondern der Mann. Ebenso verfügt der Mann
nicht über seinen Leib, sondern die Frau. (5) Entziehe sich nicht eins
dem andern, es sei denn eine Zeit lang, wenn beide es wollen, damit ihr zum
Beten Ruhe habt; und dann kommt wieder zusammen, damit euch der Satan nicht
versucht, weil ihr euch nicht enthalten könnt. (6) Das sage ich aber als
Erlaubnis und nicht als Gebot. (7) Ich wollte zwar lieber,
alle Menschen wären, wie ich bin, aber jeder hat seine eigene Gabe von Gott,
der eine so, der andere so.
(1) Wörtlich übersetzt heißt es: „Wovon ihr geschrieben habt, es ist für den Menschen gut, keine Frau zu berühren.“ Daher ist unklar, ob die Korinther gegenüber Paulus behauptet haben, dass es gut ist, „keine Frau zu berühren“ oder ob es sich hier um eine Empfehlung des Apostels an die Korinther handelt. Demensprechend meldet sich hier entweder eine Gruppe von Gemeindegliedern zu Wort, die – im Unterschied zu anderen (5,1ff.; 6,12ff.) – sexuelle Enthaltsamkeit befürwortet, oder aber Paulus gibt zu erkennen, dass er selbst Ehelosigkeit bevorzugt.
(2-3) Klar ist aber, dass Paulus die Ehelosigkeit nicht einfach bejaht. Die Ehe dient dazu, „Unzucht zu vermeiden“. Sexuelle Enthaltsamkeit kann seiner Meinung nach „Unzucht“ begünstigen. Deshalb soll „jeder seine eigene Frau haben und jede Frau ihren eigenen Mann“. Wenn sie einander „leisten“, was sie sich „schuldig“ sind, ist das „Risiko“ von „Unzucht“ geringer.
(4) Warum sind sie einander die geschlechtliche Gemeinschaft „schuldig“? Weil Mann und Frau in der Ehe die Verfügungsgewalt über ihren „Leib“ jeweils an ihren Partner abgegeben haben. Es geht ihnen nicht (nur) um die eigenen Bedürfnisse, sondern (auch) um die ihres Partners. „Eine solche, Mann und Frau gleichstellende, Betrachtung der Ehe findet sich weder bei den Rabbinen noch bei den stoischen Philosophen …“ (Lang, 90).
(5-7) Eine zeitweise sexuelle Enthaltsamkeit anlässlich einer besonderen Gebetszeit aber hält Paulus trotzdem für denkbar – sofern sie im gegenseitigen Einverständnis erfolgt. In der jüdischen Traditionen gab es verschiedenen Vorschläge für solche Fristen (eine Woche, zwei Wochen, ein Monat). Dann aber sollen sie wieder geschlechtliche Gemeinschaft pflegen und so verhindern, dass sie den Versuchungen Satans erliegen, weil sie sich im frommen Eifer überschätzt haben. „Nicht der Geschlechtstrieb ist … satanisch. Vielmehr kann gerade der vermessene Anspruch, ihm schon überlegen zu sein, unter die Gewalt Satans bringen und Enthaltsamkeit leicht in Zügellosigkeit umschlagen.“ (Schrage II, 70). Bei dieser zeitlich befristeten Enthaltsamkeit handelt es sich daher auch um eine „Erlaubnis“ und nicht um ein „Gebot“.
Paulus begründet das auch damit, dass nicht jeder – so wie er – über die Gabe der Ehelosigkeit verfügt (vgl. Mt.19,12). Er würde sich zwar freuen, wenn alle so wären wie er. Aber jeder „hat seine eigene Gabe von Gott“. „Ein Charisma … ist keine verfügbare Möglichkeit des Menschen. Es lässt sich weder von anderen befehlen noch auch vom Christen selbst aus eigener Kraft und Anstrengung zustande bringen. Ist Ehelosigkeit aber nicht durch einen kräftigen Entschluss oder Willensakt zu realisieren, kann auch ein Apostel sie nicht als Gebot oder Norm für alle Christen proklamieren.“ (Schrage II, 72).
4.2 Anwendung
dieser Grundsätze auf Unverheiratete, Verheiratete und Christen in „Mischehen“
(7,8-16)
(8) Den Ledigen und Witwen
sage ich: Es ist gut für sie, wenn sie bleiben wie ich. (9) Wenn sie sich aber nicht
enthalten können, sollen sie heiraten; denn es ist besser zu heiraten, als sich
in Begierde zu verzehren.
(8) Allen, die unverheiratet sind, empfiehlt Paulus, es ihm gleich zu tun und ehelos zu bleiben. (9) Wenn sie jedoch – im Unterschied zu ihm – nicht die Gabe der Ehelosigkeit haben und sich „nicht enthalten können, sollen sie heiraten“. Es ist „besser ist zu heiraten, als auf Dauer (Präsens!) im Feuer geschlechtlichen Verlangens zu verbrennen“ (Schrage, 96) und Gefahr zu laufen, in „Unzucht“ zu verfallen (vgl. 7,2.5). Das gilt interessanterweise selbst bei verwitweten Eheleuten. Auch hier „versucht Paulus nicht, sein eigenes Ideal durchzusetzen …“ (Schrage II, 97).
(10) Den Verheirateten aber
gebiete nicht ich, sondern der Herr, dass die Frau sich nicht von ihrem Manne
scheiden soll (11) -
hat sie sich aber geschieden, soll sie ohne Ehe bleiben oder sich mit ihrem
Mann versöhnen - und dass der Mann seine Frau nicht verstoßen soll.
(10-11b) Hier geht es möglicherweise um Gemeindeglieder, die sexuelle Askese praktizieren und sich deshalb von ihrem Ehepartner trennen wollen. Hatte Paulus bei der Frage zeitlich begrenzter Enthaltsamkeit und bei der Frage, ob Unverheiratete heiraten sollen, eine Empfehlung gegeben, weist er bei der Frage der Ehescheidung auf ein Gebot Jesu (Mk.10,9: „Was nun Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.“). Es gilt für Mann und Frau gleichermaßen.
(11a) In diesem Zusammenhang nimmt Paulus auch zu einem Spezialfall Stellung. Vermutlich hat geht es hier um eine Frau, die sich bereits vor ihrer Bekehrung zum christlichen Glauben von ihrem Mann hat scheiden lassen. Dafür spricht jedenfalls, dass für Christen ein generelles Scheidungsverbot gilt. Damit ist auch das Verbot der Wiederverheiratung verbunden (Mk.10,11-12). Die Frau hat daher nur zwei Möglichkeiten: Sie kann „ohne Ehe bleiben oder sich mit ihrem Mann versöhnen“.
(12) Den andern aber sage ich,
nicht der Herr: Wenn ein Bruder eine ungläubige Frau hat und es gefällt ihr,
bei ihm zu wohnen, so soll er sich nicht von ihr scheiden. (13) Und wenn eine Frau einen
ungläubigen Mann hat und es gefällt ihm, bei ihr zu wohnen, so soll sie sich
nicht von ihm scheiden. (14) Denn der ungläubige Mann
ist geheiligt durch die Frau und die ungläubige Frau ist geheiligt durch den
gläubigen Mann. Sonst wären eure Kinder unrein; nun aber sind sie heilig. (15) Wenn aber der Ungläubige sich
scheiden will, so lass ihn sich scheiden. Der Bruder oder die Schwester ist
nicht gebunden in solchen Fällen. Zum Frieden hat euch Gott berufen. (16) Denn was weißt du, Frau,
ob du den Mann retten wirst? Oder du, Mann, was weißt du, ob du die Frau retten
wirst?
Die „Mischehen“ sind vielleicht deshalb Gegenstand von Diskussionen geworden, weil die Gemeindeglieder, die für sexuelle Enthaltsamkeit plädieren, die Minimalforderung aufgestellt haben, Geschlechtsverkehr mit „Ungläubigen“ zu unterlassen.
(12-13) Hier kann Paulus sich nicht auf ein Jesus-Wort berufen. Daher nimmt er selbst zu dieser an ihn herangetragenen Frage Stellung. Auch hier spricht Paulus sich für den Erhalt der Ehe aus. Wenn der ungläubige Partner die Ehe fortsetzen will, soll der gläubige Partner sich nicht scheiden lassen. Paulus „liegt … daran, christliche Bedenken gegenüber einer Weiterführung der Ehe mit Nichtchristen zu zerstreuen und bei gegebener Zustimmung des nichtchristlichen Ehepartners die Christen zum weiteren ehelichen Zusammenleben mit den Nichtchristen zu ermutigen. Wo Ehe besteht, da soll sie auch gelebt, jedenfalls nicht durch religiöse Berührungsängste in Frage gestellt werden.“ (Schrage II, 104).
(14) Paulus begründet diese Aufforderung damit, dass der Ungläubige durch seinen gläubigen Partner „geheiligt“ ist. „Im Gegensatz zu einer Bunker- und Abgrenzungsmentalität vertraut Paulus auf die heiligende Macht des Christus. Die Nichtchristen werden durch den christlichen Ehepartner geheiligt, nicht die Christen entheiligt. Während die Korinther die ansteckende Macht der Sarx [des Fleisches] fürchten und Distanz zur Welt und zu den Weltkindern empfehlen, kommt der Nichtchrist nach Paulus durch die Christen gerade in die Sphäre und Aura des Geistes hinein … Der Christ lebt sozusagen in einem Ausstrahlungs- bzw. Kraftfeld, das auch Nichtchristen nicht unberührt lässt, in das sie wie mit magnetischer Kraft hineingezogen werden.“ (Schrage II, 104f.).
Dass der Ungläubige durch seinen gläubigen Partner „geheiligt“ ist, zeigt sich an ihren Kindern. Wäre die Ehe mit Ungläubigen schädlich, wären die Kinder „unrein“. Tatsächlich aber „sind sie heilig“.
(15-16) Anders sieht es aus, wenn der ungläubige Partner die Scheidung will. Dann soll man ihn nicht aufhalten und sich im Frieden von seinem Partner trennen. Dass man nicht gegen den Wunsch seines ungläubigen Partners an der Ehe festhalten soll begründet Paulus damit, dass man nicht weiß, ob man seinen heidnischen Partner durch die Fortführung der Ehe für den Glauben an Christus gewinnen und retten wird.
4.3 Der Berufung treu bleiben (7,17-24)
(17) Nur soll jeder so leben,
wie der Herr es ihm zugemessen, wie Gott einen jeden berufen hat. Und so ordne
ich es an in allen Gemeinden. (18) Ist jemand als
Beschnittener berufen, der bleibe bei der Beschneidung. Ist jemand als Unbeschnittener berufen, der lasse sich nicht
beschneiden. (19) Beschnitten
sein ist nichts und unbeschnitten sein ist nichts,
sondern: Gottes Gebote halten. (20) Jeder bleibe in der
Berufung, in der er berufen wurde. (21) Bist du als Knecht
berufen, so sorge dich nicht; doch kannst du frei werden, so nutze es umso
lieber. (22) Denn
wer als Knecht berufen ist in dem Herrn, der ist ein Freigelassener des Herrn;
desgleichen wer als Freier berufen ist, der ist ein Knecht Christi. (23) Ihr seid teuer erkauft;
werdet nicht der Menschen Knechte. (24) Liebe Brüder, ein jeder
bleibe vor Gott, worin er berufen ist.
Was hat dieser Abschnitt mit den Fragen zu tun, die vorher und nachher behandelt werden? Auch dieser Abschnitt richtet sich an Gemeindeglieder, „die aus asketischen Gründen aus ihren bisherigen Rahmenbedingungen aussteigen wollen, also konkret an solche, die in der Ehe die Ehe nicht ernst nehmen, durch Scheidung aus ihren Ehen ausbrechen oder eine Mischehe für gefährlich halten“ (Schrage, 130). In den Versen 17-24 versucht Paulus, seine Auffassung „durch grundsätzliche Aussagen und neue Beispiele … theologisch zu reflektieren und zu präzisieren.“ (Schrage II, 129).
(17) Christen sollen sich nicht aus den Ordnungen, in die sie eingebunden sind, zurückziehen, sondern den Platz ausfüllen, an den Gott sie gestellt hat.
(18-20) Paulus erläutert diesen Grundsatz am Beispiel der Beschneidung. Hat Gott sie als Beschnittene berufen, sollen sie das akzeptieren – und nicht etwa versuchen, die Beschneidung rückgängig zu machen (z.B. wie manche Juden zur Zeit von Antiochus Epiphanes, 1.Makk.1,15). Umgekehrt soll sich jemand, der „als Unbeschnittener berufen“ ist, „nicht beschneiden“ lassen. Beides „ist nichts“. Wichtig ist vielmehr, Gottes Gebote zu halten – und zwar als Beschnittener und Unbeschnittener bzw. „an dem Ort, an dem jeder steht, und mit den Gaben, die jeder empfangen hat“ (Lang, 96).
(21-24) Als zweites Beispiel zieht Paulus die Sklaverei heran. Wen Gott als Sklaven berufen hat, der soll sich nicht darüber nicht zu viele Gedanken machen. Wenn sich für ihn dennoch die Möglichkeit ergibt, frei zu werden, soll er diese Chance allerdings ergreifen. Grundsätzlich aber gilt: Ein Sklave ist in Wirklichkeit ein „Freigelassener des Herrn“. Umgekehrt ist derjenige, der „als Freier berufen ist, … ein Knecht Christi“. Für Paulus ist „die alle soziologischen und sozialen Kategorien übergreifende christliche Freiheit und Bindung das eigentlich Gewichtige, das alle anderen Standards und Einstufungen transzendiert.“ (Schrage II, 142). Entscheidend ist, dass Gott sie „teuer erkauft“ hat (vgl. 6,20) und sie ihm gehören. Deshalb sollen sie sich nicht von Menschen abhängig machen, sondern in der Lebensordnung bleiben, in die Gott sie hineingestellt hat.
Das gilt für alle Bereiche des christlichen Lebens in der Welt – und daher auch für die Ehe.
4.4 Die noch nicht und die nicht mehr Verheirateten (7,25-40)
Allen, die noch nicht verheiratet sind, rät Paulus von der Ehe ab.
(25) Über die Jungfrauen habe
ich kein Gebot des Herrn; ich sage aber meine Meinung als einer, der durch die
Barmherzigkeit des Herrn Vertrauen verdient. (26) So meine ich nun, es sei
gut um der kommenden Not willen, es sei gut für den Menschen, ledig zu
sein. (27) Bist
du an eine Frau gebunden, so suche nicht, von ihr loszukommen; bist du nicht
gebunden, so suche keine Frau. (28) Wenn du aber doch
heiratest, sündigst du nicht, und wenn eine Jungfrau heiratet, sündigt sie
nicht; doch werden solche in äußere Bedrängnis kommen. Ich aber möchte euch
gerne schonen.
(25) Auch hier kann Paulus sich nicht auf ein „Gebot des Herrn“ berufen (vgl. 7,12). Er hat aber dazu einen klaren Standpunkt. Dabei handelt es sich nicht um seine Privatmeinung, sondern um die Auffassung einer Person, die „durch die Barmherzigkeit des Herrn Vertrauen verdient“. Das ist vermutlich ein indirekter Hinweis auf seine apostolische Autorität, weil er in 2.Kor.4,1 sagt, dass er das Apostelamt „nach der Barmherzigkeit“ empfangen hat.
(26-28) Paulus empfiehlt den Unverheirateten, ehelos zu bleiben und begründet das mit der „kommenden Not“, der endzeitlichen Verfolgung (z.B. Offb.13,8-10), in der es besser ist, „ledig zu sein“. Wer aber bereits „an eine Frau gebunden“ ist, soll allerdings nicht versuchen, sich von ihr zu trennen. Hier ist vermutlich nicht die Ehescheidung (vgl. 7,10-16), sondern die Auflösung von Verlöbnissen gemeint. Wer (seine Verlobte) heiratet, sündigt aber nicht – ebenso wenig wie die Jungfrau, die der Heirat zustimmt. Allerdings werden beide in der „kommenden Not“ in „äußere Bedrängnis“ kommen. Gemeint ist, dass die Sorge um den Partner bzw. die Familie in Zeiten der Verfolgung eine zusätzliche Herausforderung darstellt. Davor möchte Paulus sie bewahren.
In den folgenden Versen geht Paulus auf die kommende Not ein, bzw. darauf, mit welcher Einstellung Christen ihr begegnen sollen – nicht nur im Hinblick auf die Ehe.
(29) Das sage ich aber, liebe
Brüder: Die Zeit ist kurz. Fortan sollen auch die, die Frauen haben, sein, als
hätten sie keine; und die weinen, als weinten sie nicht; (30) und die sich freuen, als
freuten sie sich nicht; und die kaufen, als behielten sie es nicht; (31) und die diese Welt
gebrauchen, als brauchten sie sie nicht. Denn das Wesen dieser Welt
vergeht.
(29-31) Bis diese Welt „vergeht“, ist nur eine kurze Zeit. Deshalb sollen sie sich nicht an das Vergehende klammern. Diese Grundhaltung betrifft auch die Ehe. Die männlichen Gemeindeglieder, „die Frauen haben“, sollen sein, „als hätten sie keine“. Dabei geht es nicht um sexuelle Enthaltsamkeit (vgl. 7,2-6), sondern darum, sich nicht in ein privates Glück zurückzuziehen (vgl. 7,32-33). Auch wenn sie über Ereignisse ihres persönlichen Lebens „weinen“ oder sich „freuen“, sollen sie darauf achten, ihr eigenes Freud und Leid nicht in den Mittelpunkt zu stellen. „Wer kauft, soll nicht meinen, er könne über das Gekaufte in Zukunft verfügen. Er soll nicht krampfhaft und zäh daran festzuhalten versuchen.“ (Schrage, 174). Zusammengefasst formuliert: Christen sollen „diese Welt gebrauchen, als brauchten sie sie nicht“ (diese Haltung wird auch in 4.Esra 16,36ff beschrieben: „Wer da verkauft soll es so tun, als sei er auf der Flucht, wer kauft, als ob er es verliere, wer handelt, als werde er keinen Gewinn mehr erzielen, wer baut, als werde er nicht mehr wohnen, wer sät, als werde er nicht mehr ernten, wer die Reben beschneidet, als werde er keine Weinlese mehr halten, die heiraten, als ob sie keine Kinder mehr erzeugen würden, und die nicht heiraten, als ob sie schon verwitwet wären.“). Paulus begründet diese Haltung damit, dass „das Wesen dieser Welt vergeht“.
„Das Wissen um das Vergehen der Welt und damit um ihre Vorläufigkeit führt zu einer Brechung und Distanz, nicht aber zu Eskapismus, Gefühlstemperierung oder Nicht-Engagement. Paulus will die in den Vordergliedern genannten Verhaltensweisen nicht asketisch in die Schwebe bringen, sondern ihren definitiven Charakter in Frage stellen (…).“ (Schrage II, 173f.)
Für die Einstellung zur Ehe bedeutet das konkret:
(32) Ich möchte aber, dass ihr
ohne Sorge seid. Wer ledig ist, der sorgt sich um die Sache des Herrn, wie er
dem Herrn gefalle; (33) wer
aber verheiratet ist, der sorgt sich um die Dinge der Welt, wie er der Frau
gefalle, und so ist er geteilten Herzens. (34) Und die Frau, die keinen
Mann hat, und die Jungfrau sorgen sich um die Sache des Herrn, dass sie heilig
seien am Leib und auch am Geist; aber die verheiratete Frau sorgt sich um die
Dinge der Welt, wie sie dem Mann gefalle. (35) Das sage ich zu eurem
eigenen Nutzen; nicht um euch einen Strick um den Hals zu werfen, sondern damit
es recht zugehe und ihr stets und ungehindert dem Herrn dienen könnt.
(32-33) Wenn Paulus sich zur Ehe äußert, geht es ihm nicht um die Ehe selbst, sondern darum, dass Christen „ohne Sorge“ sind. Wer unverheiratet ist, sorgt sich allein „um die Sache des Herrn“ und fragt danach, was ihm gefällt. Ein verheirateter Mann aber sorgt sich „um die Dinge der Welt“ bzw. darum, „wie er der Frau gefalle“. Er muss „bestimmte Interessen und Energien, Pflichten und Zeiten ausgleichen und auch Wohl, Wunsch und Wille des Ehepartners respektieren“ (Schrage II, 178). Deshalb ist er, so fromm er auch sein mag, „geteilten Herzens“. Er kann dem Herrn nicht „stets und unbehindert … dienen“ (7,35).
(34) Das Gleiche gilt für die Frau. Eine Frau, „die keinen Mann hat“ (gemeint ist vermutlich eine Witwe, vgl. 7,39-40) und die „Jungfrau“ gehen ganz für „die Sache des Herrn“ auf und streben in allen Bereichen ihres Lebens („am Leib und auch am Geist“) nach Heiligkeit. Eine verheiratete Frau aber „sorgt sich um die Dinge der Welt, wie sie dem Mann gefalle“.
(35) „Paulus spürt, dass seine pointierte Ausdrucksweise gesetzlich missverstanden werden könnte; darum formuliert er abschließend nochmals sein eigentliches Anliegen. Mit dem Bild von der Schlinge des Jägers betont er, dass er den Korinthern nicht eine drückende Fessel anlegen … will; er möchte ihnen vielmehr helfen, dass sie dem Herrn ehrenhaft und beharrlich dienen können.“ (Lang, 102)
Nach diesen grundsätzlichen Erwägungen geht Paulus konkret auf die Frage ein, ob ein Mann, der verlobt ist, noch heiraten soll.
(36) Wenn aber jemand meint, er
handle unrecht an seiner Jungfrau, wenn sie erwachsen ist, und es kann nicht
anders sein, so tue er, was er will; er sündigt nicht, sie sollen
heiraten. (37) Wenn
einer aber in seinem Herzen fest ist, weil er nicht unter Zwang ist und seinen
freien Willen hat, und beschließt in seinem Herzen, seine Jungfrau unberührt zu
lassen, so tut er gut daran. (38) Also, wer seine Jungfrau
heiratet, der handelt gut; wer sie aber nicht heiratet, der handelt besser.
(36) Die Übersetzung bzw. Aussage des Verses ist nicht eindeutig. Geht es um die Auffassung, der Verlobten, die bereits erwachsen ist, unrecht zu tun, wenn man sie nun doch nicht heiratet? Oder ist ein Mann mit sexuellem Verlangen angesprochen, der in der Gefahr steht, dieses Verlangen ggf. außerhalb der Ehe auszuleben und so seine Verlobte missachtet? Die Elberfelder Bibel übersetzt: „Wenn aber jemand denkt, er handle ungeziemend mit seiner Jungfrau, wenn er in der Vollkraft steht, und es muss so geschehen, so tue er, was er will; er sündigt nicht; sie sollen heiraten.“ Dass der Mann tut „was er will“ heißt vermutlich konkret, dass er seine sexuellen Bedürfnisse auslebt. Das ist keine Sünde – also sollen die beiden guten Gewissens heiraten.
(37) Anders sieht es aus, wenn er „in seinem Herzen fest“ ist und er nicht „unter Zwang“ steht und „seinen freien Willen hat“ – also sein sexuelles Verlangen für ihn tatsächlich keine Rolle spielt. Wenn er dann beschließt, „seine Jungfrau unberührt zu lassen, so tut er gut daran“. Damit ist – wie Vers 38 zeigt – keine platonische Beziehung gemeint, sondern der Verzicht auf die Ehe.
(38) Zusammenfassend stellt Paulus fest: „Wer seine Jungfrau heiratet, der handelt gut …“ – weil er seine Sexualität im Sinne Gottes lebt und „Unzucht“ vermeidet (7,2). „Wer sie aber nicht heiratet, der handelt besser“ – weil er in den Herausforderungen der Endzeit keine zusätzlichen Sorgen hat (7,32) und Gott ungeteilt dienen kann (7,35).
Für die Witwen folgt entsprechend daraus:
(39) Eine Frau ist gebunden,
solange ihr Mann lebt; wenn aber der Mann entschläft, ist sie frei, zu
heiraten, wen sie will; nur dass es in dem Herrn geschehe! (40) Seliger ist sie aber, nach
meiner Meinung, wenn sie ledig bleibt. Ich meine aber: ich habe auch den Geist
Gottes.
(39) Solange ihr Mann lebt, ist eine Frau an ihn gebunden und darf nach einer Scheidung nicht noch einmal heiraten. Wenn aber ihr Mann verstorben ist, „ist sie frei, zu heiraten, wen sie will“. Wichtig ist aber, dass es „in dem Herrn“ geschieht? Ist damit gemeint, dass der Ehepartner Christ sein soll? Oder ist „nur“ gemeint, dass die Eheschließung dem Glauben nicht zuwiderlaufen darf?
(40) Besser ist es seiner Meinung nach jedoch, wenn eine Witwe „ledig bleibt“. Obwohl er seine Stellungnahme als „Meinung“ bezeichnet, handelt es sich nicht um eine unbedeutende Privatauffassung. Paulus betont: „Ich habe auch den Geist Gottes.“ Hintergrund ist vermutlich, dass es in Korinth einige Christen gibt, „die unter Berufung auf das Pneuma Gottes eine andere Meinung als er vertreten … Paulus bestreitet ihnen dieses Pneuma nicht, aber er gibt … deutlich zu verstehen, dass ihnen auch sein Urteil als ein vom Geist geleitetes zu gelten hat.“ (Schrage II, 206).