7       Vier Tiere, das Gericht und der Menschensohn (7,1-28)

 

 

Das siebte Kapitel des Buches besteht aus zwei Hauptteilen: der Vision (7,1-14) und ihrer Deutung (7,15-28).

 

(1) Im ersten Jahr Belsazars, des Königs von Babel, sah Daniel einen Traum und Gesichte seines Hauptes auf seinem Lager. Dann schrieb er den Traum auf, die Summe der Ereignisse berichtete er. (2) Daniel fing an und sprach: Ich schaute in meinem Gesicht in der Nacht, und siehe, die vier Winde des Himmels wühlten das große Meer auf. (3) Und vier große Tiere stiegen aus dem Meer herauf, jedes verschieden vom anderen. (4) Das erste war wie ein Löwe und hatte Adlerflügel; ich sah hin, bis seine Flügel ausgerissen wurden und es von der Erde aufgehoben und wie ein Mensch auf seine Füße gestellt und ihm das Herz eines Menschen gegeben wurde. (5) Und siehe, ein anderes, ein zweites Tier, war einem Bären gleich. Und es war auf der einen Seite aufgerichtet und hatte in seinem Maul drei Rippen zwischen seinen Zähnen. Und man sprach zu ihm so: Steh auf, friss viel Fleisch! (6) Nach diesem schaute ich, und siehe, ein anderes, wie ein Leopard: das hatte vier Vogelflügel auf seinem Rücken. Und das Tier hatte vier Köpfe, und Herrschaft wurde ihm gegeben. (7) Nach diesem schaute ich in Gesichten der Nacht: und siehe, ein viertes Tier, furchtbar und schreckenerregend und außergewöhnlich stark, und es hatte große eiserne Zähne; es fraß und zermalmte, und den Rest zertrat es mit seinen Füßen. Und es war verschieden von allen Tieren, die vor ihm waren, und es hatte zehn Hörner. (8) Während ich auf die Hörner achtete, siehe, da stieg ein anderes, kleines Horn zwischen ihnen empor, und drei von den ersten Hörnern wurden vor ihm ausgerissen; und siehe, an diesem Horn waren Augen wie Menschenaugen und ein Mund, der große Worte redete. (9) Ich schaute, bis Throne aufgestellt wurden und einer, der alt war an Tagen, sich setzte. Sein Gewand war weiß wie Schnee und das Haar seines Hauptes wie reine Wolle, sein Thron Feuerflammen, dessen Räder ein loderndes Feuer. (10) Ein Feuerstrom floss und ging von ihm aus. Tausend mal Tausende dienten ihm, und zehntausend mal Zehntausende standen vor ihm. Das Gericht setzte sich, und Bücher wurden geöffnet. (11) Dann schaute ich wegen der Stimme der großen Worte, die das Horn redete: ich schaute, bis das Tier getötet und sein Leib zerstört und dem Brand des Feuers übergeben wurde. (12) Und den übrigen Tieren wurde ihre Herrschaft weggenommen, und Lebensdauer wurde ihnen gegeben bis auf Zeit und Stunde. (13) Ich schaute in Gesichten der Nacht: und siehe, mit den Wolken des Himmels kam einer wie der Sohn eines Menschen. Und er kam zu dem Alten an Tagen, und man brachte ihn vor ihn. (14) Und ihm wurde Herrschaft und Ehre und Königtum gegeben, und alle Völker, Nationen und Sprachen dienten ihm. Seine Herrschaft ist eine ewige Herrschaft, die nicht vergeht, und sein Königtum so, dass es nicht zerstört wird.


(1) Von Belsazar, dem Sohn und Stellvertreter des letzten Babylonierkönigs Nabonid, war bereits im fünften Kapitel des Danielbuchs die Rede (5,1). Mit seinem ersten Regierungsjahr ist „wahrscheinlich das erste volle Jahr nach der Abreise Nabonids und nach dem Empfang der Königsinsignien durch Belsazar“ gemeint (Maier, 260) – also das Jahr 548 (Maier, 260) oder 550/549 v. Chr (Stefanovic, 247). Entscheidend ist aber weniger das genaue Datum der Vision, als vielmehr der Umstand, dass Daniel sie noch zur Zeit des babylonischen Weltreiches empfängt.

 

Hatte Daniel bisher die Aufgabe, die Träume von Königen zu deuten (Dan. 2 und 4), hat er nun selbst „einen Traum … auf seinem Lager“  und ist anschließend auf eine Deutung angewiesen. Außerdem ist – wie in 2,18 und 7,15 – davon die Rede, dass er „Gesichte seines Hauptes“ sieht. Daniel schreibt den Traum auf und berichtet die „Summe der Ereignisse“, gibt also eine zusammenfassende Darstellung des Traums.

 

(2-3) In seinem zusammenfassenden Bericht erklärt er einleitend, dass er „die vier Winde des Himmels“ gesehen hat, die „das große Meer“ aufwühlen.

 

Mit den „vier Winden des Himmels“ sind einerseits die vier Himmelsrichtungen gemeint (8,8: „Und der Ziegenbock wurde überaus groß. Und als er stark geworden war, zerbrach das große Horn, und vier ansehnliche Hörner wuchsen an seiner Stelle nach den vier Winden des Himmels hin.“; 11,4: „Aber sobald er aufgetreten ist, wird sein Königreich zertrümmert und nach den vier Winden des Himmels hin zerteilt werden …“; 1.Chr.9,24: „Die Torhüter standen nach den vier Winden: nach Osten, nach Westen, nach Norden und nach Süden.“), andererseits aber auch Werkzeuge, die Gott für sein Gerichtshandeln nutzt (Jer.49,36: „Und ich werde die vier Winde von den vier Enden des Himmels her über Elam bringen und es in alle diese Winde zerstreuen. Und es soll keine Nation geben, wohin nicht Vertriebene Elams kommen werden.“).

 

Das „große Meer“ ist „im altorientalischen Weltbild kein geographisch fixierbares Gewässer, sondern das Urmeer oder der kosmische Ozean, der nach seiner Bezwingung durch eine Schöpfergottheit im Chaoskampf die Welt von allen Seiten umschließt“ (Haag, 56). Von dieser Vorstellung zeugen Texte wie Ps.93,3-4 („(3) Ströme erhoben, o HERR, Ströme erhoben ihr Tosen, Ströme erheben ihr Brausen. (4) Mächtiger als das Tosen gewaltiger Wasser, wuchtiger Brecher des Meeres, mächtiger ist der HERR in der Höhe.“) oder Ps.74,13-14 („(13)  Du hast aufgestört das Meer durch deine Macht, hast zerschmettert die Häupter der Wasserungeheuer auf den Wassern. (14) Du hast zerschlagen die Köpfe des Leviatans, gabst ihn zur Speise den Haifischen des Meeres.“).

 

Im Zusammenhang mit der folgenden Vision sind Aussagen von Interesse, in denen das Auftreten von Völkern mit dem Toben des Meeres verglichen wird (z.B. Jes.17,12-14: „(12) Wehe, ein Getöse vieler Völker: wie das Tosen der Meere tosen sie; und ein Rauschen von Völkerschaften: wie das Rauschen gewaltiger Wasser rauschen sie. (13) Völkerschaften rauschen wie das Rauschen vieler Wasser. Doch er bedroht sie, und sie fliehen in die Ferne. Und sie werden gejagt wie Spreu auf den Bergen vor dem Wind und wie die Raddistel vor dem Sturm.“). Dementsprechend sieht Daniel „vier große Tiere … jedes verschieden vom anderen“ aus dem Meer steigen, womit nach 7,17 vier Königreiche gemeint sind.

 

(4-8) Die vier Tiere werden ausführlich beschrieben. Überraschenderweise widmet die Deutung ihnen – abgesehen vom vierten Tier und dem kleinen Horn (7,23-25) – nur wenig Aufmerksamkeit (7,17: „Diese großen Tiere – es sind vier – bedeuten: vier Könige werden sich von der Erde her erheben.“). Möglicherweise geht der Verfasser davon aus, dass die Deutung offensichtlich ist und man darüber nicht viele Worte verlieren muss.

 

Das erste Tier sieht „wie“ ein Löwe mit Adlerflügeln aus. Das entspricht prophetischen Aussagen über Babylon (Jer.4,7: „Ein Löwe steigt herauf aus seinem Dickicht, und ein Zerstörer der Nationen bricht auf …“; Jer.48,40: „…Siehe, wie der Adler fliegt er daher und breitet seine Flügel aus über Moab.“).

 

Nun sieht Daniel, dass diesem Tier „seine Flügel ausgerissen“ werden. Soll dies den Machtverlust dieses Königreiches andeuten? Außerdem wird es von der Erde aufgehoben und wie ein Mensch auf seine Füße gestellt“. Vermutlich soll das – zusammen mit der folgende Aussage, dass ihm das Herz eines Menschen gegeben“ wird – an die Rehabilitierung Nebukadnezars erinnern, dem das „Herz eines Tieres“ gegeben wurde (4,13), der „von den Menschen ausgestoßen“ wurde, und der „Gras wie die Rinder“ essen musste (4,30), dann aber rehabilitiert wurde (4,31-34).

 

Fast alle Bibelausleger deutet das erste Tier auf das babylonische Weltreich (anders Maier, 266, der es auf Medopersien bezieht).

 

Das zweite Tier ist „einem Bären gleich“. Der Bär ist „auf der einen Seite aufgerichtet“. Vermutlich handelt es sich um eine Angriffsposition (Haag, 57; Porteous, 85; Maier, 267). Dass es in seinem Maul drei Rippen zwischen seinen Zähnen“ hat und man ihn mit den Worten „steh auf, friss viel Fleisch!“ antreibt, ist vermutlich ein Hinweis auf seine Aggressivität.

 

Die meisten Bibelwissenschaftler beziehen diese Aussagen auf das Reich der Meder, dass an vielen Stellen der prophetischen Schriften als eigenständige Macht erscheint: (Jes.13,17; 21,2; Jer.51,11.28; vgl. zu Dan.2,39).

 

Adventstische Bibelausleger sehen hier das Großreich Medo-Persien und beziehen die „drei Rippen“ auf die von diesem Reich eroberten Länder Lydien, Babylon, Ägypten (Shea I 150; Stefanovic, 251). Noch anders die Deutung Maiers: er meint, dass hier Alexander der Große und sein Weltreich angesprochen wird (Maier 268).

 

Das dritte Tier sieht „wie“ ein Leopard aus, hat aber gleichzeitig „vier Vogelflügel auf seinem Rücken“ und „vier Köpfe“. Außerdem wird hier ausdrücklich betont, dass die „Herrschaft ihm gegeben“ wurde – womit gemeint ist, dass sie ihm von Gott verliehen wurde.

 

Das dritte Tier wird üblicherweise auf das persische Weltreich gedeutet. In diesem Zusammenhang wird auf Aussagen über Kyrus bzw. Persien verwiesen, die zu den Angaben passen:

vier Vogelflügel auf seinem Rücken

Jes.46,11: der ich den Raubvogel rufe von Osten her, aus fernem Land den Mann meines Ratschlusses …

vier Köpfe.

Dan.11,2: Und nun will ich dir die Wahrheit mitteilen: Siehe, noch drei Könige werden in Persien aufstehen, und der vierte wird größeren Reichtum erlangen als alle. Und wenn er durch seinen Reichtum mächtig geworden ist, wird er alles gegen das Königreich Griechenland aufbieten.

Herrschaft wurde ihm gegeben

Jes.45,1: So spricht der HERR zu seinem Gesalbten, zu Kyrus, den ich bei seiner Rechten ergriffen habe, um Nationen vor ihm zu unterwerfen …

Esr.1,2: So spricht Kyrus, der König von Persien: Alle Königreiche der Erde hat der HERR, der Gott des Himmels, mir gegeben. Nun hat er selbst mir den Auftrag gegeben, ihm in Jerusalem, das in Juda ist, ein Haus zu bauen.

 

Adventistische Bibelausleger deuten das dritte Tier auf das griechische Weltreich. Die Flügel stehen dann für die schnellen Eroberungen Alexanders des Großen und die vier Köpfe für die Aufteilung des Reiches nach dessen Tod (Shea I, 150). Maier sieht hier bereits das römische Weltreich angekündigt (Maier, 269).

 

Die ersten drei Tiere tauchen übrigens in Hosea 13,7-8 gemeinsam auf: „(7) So wurde ich für sie wie ein Löwe, wie ein Leopard laure ich am Weg. (8) Ich falle sie an wie eine Bärin, die der Jungen beraubt ist, und zerreiße den Verschluss ihres Herzens. Ich fresse sie dort wie eine Löwin. Die Tiere des Feldes zerfleischen sie.“

 

In der Deutung der Vision (7,15-28) wird nicht weiter auf die ersten drei Tiere eingegangen. Das ist beim vierten Tier und dem kleinen Horn anders. Daniel will „genaueres wissen über das vierte Tier … und über die zehn Hörner auf seinem Kopf und über das andere Horn“ (7,19-20) und erhält in den Versen 23-25 eine Deutung. Daher wird der Frage, wer oder was das Tier bzw. das kleine Horn ist, bei der Auslegung dieser Verse nachgegangen.

 

(9-12) Die folgende Szene schildert die Reaktion des Himmels auf das Auftreten des vierten Tieres und des kleinen Horns. Auch diese Szene wird im Abschnitt 7,15-28 näher beleuchtet. Dort werden aber nicht alle Aspekte aufgegriffen.

 

Zunächst sieht Daniel, wie „Throne“ aufgestellt werden. Auf ihnen soll – wie Vers 10 zeigt – „das Gericht“ Platz nehmen (zur Gerichtsversammlung im Himmel vgl. Ps.82). Zunächst aber setzt sich „einer, der alt war an Tagen“. Gemeint ist natürlich Gott, von dem es im Buch Hiob heißt, dass „die Zahl seiner Jahre … unerforschlich“ ist (Hi.36,26).

 

Seine Kleidung ist weiß wie Schnee“ und sein Haar wie reine Wolle“. Gott wird also als ein hell strahlendes Wesen dargestellt (vgl. z.B. 5.Mos.33,2; Hab.3,4). Außerdem wird sein Thron geschildert. Er besteht aus „Feuerflammen“ (vgl. Hes.1,13: „Und mitten zwischen den lebenden Wesen war ein Schein wie von brennenden Feuerkohlen; wie ein Schein von Fackeln war das, was zwischen den lebenden Wesen hin– und herfuhr …“; äthHen.14,19: „Und unterhalb des Thrones kamen Ströme flammenden Feuers hervor …“). Auch seine „Räder“ (vgl. Hes.1,15: „Und als ich die lebenden Wesen sah, siehe, da war ein Rad auf der Erde neben den lebenden Wesen …“) sind „ein loderndes Feuer“. Deshalb geht vom Thron ein „Feuerstrom“ aus (Ps.97,2-3: „(2) Gewölk und Dunkel sind um ihn her. Gerechtigkeit und Recht sind die Grundfeste seines Thrones. (3) Feuer geht vor ihm her und verzehrt seine Bedränger ringsum.“).

 

Vor Gott und seinem Thron steht der ganze himmlische Hofstaat.

 

Nachdem Gott sich gesetzt hat, nimmt auch „das Gericht“ Platz und die „Bücher“ werden „geöffnet“. Was hat es mit den „Büchern“ auf sich? Es kann sich um das Verzeichnis derjenigen handeln, die zu Gott gehören. In diesem Sinne ist in 12,1 von einem „Buch“ die Rede: „… Und in jener Zeit wird dein Volk errettet werden, jeder, den man im Buch aufgeschrieben findet.“ Hier aber geht es vermutlich um „Gerichtsakten“, in denen die Taten, über zu urteilen ist, aufgeschrieben sind (äthHen.104,7: „Obwohl ihr Sünder sagt: ‚Alle unsere Sünden werden nicht durchforscht und aufgeschrieben!‘ Sie [die Engel] schreiben doch alle eure Sünden jeden Tag auf.“; syrBar 24,1: „Denn sieh, es kommen Tage; da öffnet man die Bücher, worin die Sünden aller Missetäter aufgeschrieben …“).

 

Um wessen Taten geht es? Der Zusammenhang mit Vers 11 zeigt, dass es um die Verfehlungen des kleinen Horns geht. Auch aus Vers 26 wird ersichtlich, dass es im Gericht um das Horn geht: „Aber das Gericht wird sich setzen; und man wird seine Herrschaft wegnehmen, um sie zu vernichten und zu zerstören bis zum Ende.“

 

Adventistische Bibelausleger haben das in Vers 10 erwähnte Gericht im Sinne eines „Untersuchungs-Gerichts“ verstanden, in dem festgestellt wird, „wer mit den Heiligen des Höchsten in Gottes ewiges Reich einziehen darf – und wer nicht!“ (Shea II, 136; vgl. Smith, 122; ABC 4, 828). In neuerer Zeit hat Stefanovic jedoch betont: „The context of this vision of Daniel 7 suggests that the primary focus of God’s judgment concerns ‘the power realitier – kingdoms and rulers who‚ ‘do as they please’.’ Here, the judgement on the beasts results in their destruction.” (Stefanovic, 267: „Der Kontext dieser Vision von Daniel 7 legt nahe, dass der Hauptfokus von Gottes Gericht die Machtwirklichkeiten – Königreiche und Herrscher, die tun, was sie wollen – bezieht. Hier führt das Urteil über die Tiere zu ihrer Zerstörung.“).

 

Das Gerichtsurteil wird nicht eigens erwähnt. Stattdessen wird sofort die auf das Urteil folgende Urteilsvollstreckung beschrieben. Das Tier wird „getötet und sein Leib zerstört und dem Brand des Feuers übergeben“. Nichts bleibt von ihm übrig.

 

Zu den „übrigen Tieren“ wird gesagt, dass ihre „Herrschaft weggenommen“ wird. Bedeutet dies, dass mit ihnen ungleich milder verfahren wird – sie „nur“ ihre Macht verlieren, aber nicht vernichtet werden? „Lebensdauer“ wird ihnen jedenfalls gegeben – wenn auch „bis auf Zeit und Stunde“ befristet.

 

(13-14) Nach dem Gericht über das kleine Horn und dessen Vollstreckung und nachdem den übrigen Tieren … ihre Herrschaft weggenommen“ wurde, werden Herrschaft und Ehre und Königtum“ jemandem gegeben, der „wie der Sohn eines Menschen“ ist. Auch bei den vier Tieren war davon die Rede, dass sie „wie“ ein Löwe oder Leopard sind (7,4.6). Wenn hier nun von dem „Sohn eines Menschen“ die Rede ist, handelt es sich ebenfalls um einen Vergleich. Der Begriff „Sohn eines Menschen“ zeigt noch nicht, um wen oder was es sich handelt.

 

An einigen Stellen bedeutet der Begriff „Menschensohn“ einfach so viel wie „Mensch“. In 8,17 ist Daniel selbst gemeint („… Merke auf, Menschensohn! Denn das Gesicht gilt für die Zeit des Endes.“); in Hes.2,1 der Prophet Hesekiel („Und er sprach zu mir: Menschensohn, stelle dich auf deine Füße, und ich will mit dir reden!“).

 

In 10,16-18 ist von einem Engel die Rede, der „im Aussehen wie ein Mensch“ ist:

(16) Und siehe, einer, den Menschenkindern gleich, berührte meine Lippen. Und ich öffnete meinen Mund und redete und sprach zu dem, der vor mir stand: Mein Herr, bei der Erscheinung überfielen mich meine Wehen, und ich habe keine Kraft behalten. (17) Und wie kann der Knecht dieses meines Herrn mit diesem meinem Herrn reden? Und ich – von nun an bleibt keine Kraft mehr in mir, und kein Odem ist in mir übrig. (18) Da rührte er, der im Aussehen wie ein Mensch <war>, mich wieder an und stärkte mich.

 

Im äthiopischen Buch Henoch, das erst nach dem Buch Daniel verfasst wurde (älteste Teile stammen vermutlich aus dem 3. Jh. v. Chr.) ist vom „Menschensohn“ als von einer übermenschlichen Erlösergestalt die Rede. Von ihm wird gesagt, dass er „die Gerechtigkeit hat“ und als Richter „die Könige und die Mächtigen von ihren Lagern und die Starken von ihren Thronen sich erheben machen“ bzw. „verstoßen“ wird (46,1-5):

(1) Ich sah dort den, der ein betagtes Haupt [hat], und sein Haupt [war] weiß wie Wolle; bei ihm [war] ein anderer, dessen Antlitz wie das Aussehen eines Menschen[war], und sein Antlitz [war] voll Anmut gleichwie eines von den heiligen Engeln. (2) Ich fragte den Engel, der mit mir ging und mir alle Geheimnisse zeigte, über jenen Menschensohn, wer er sei, woher er stamme, [und] weshalb er mit dem betagten Haupte gehe? (3) Er antwortete mir und sagte zu mir: "Dies ist der Menschensohn, der die Gerechtigkeit hat, bei dem die Gerechtigkeit wohnt, und der alle Schätze dessen, was verborgen ist, offenbart; denn der Herr der Geister hat ihn auserwählt, und sein Los hat vor dem Herrn der Geister dies durch Rechtschaffenheit in Ewigkeit übertroffen. (4) Dieser Menschensohn, den du gesehen hast, wird die Könige und die Mächtigen von ihren Lagern und die Starken von ihren Thronen sich erheben machen; er wird die Zügel der Starken lösen und die Zähne der Sünder zermalmen. (5) Er wird die Könige von ihren Thronen und aus ihren Königreichen verstoßen, wen sie ihn nicht erheben, noch preisen, oder dankbar anerkennen, woher ihnen das Königtum verliehen worden ist.

 

In Kapitel 69 ist sogar ausdrücklich davon die Rede, dass „die Summe des Gerichts … dem Menschensohn übergeben“ wurde:

69,26-27: (26) Große Freude herrschte unter ihnen, und sie segneten, lobten, priesen und erhoben, weil ihnen der Name jenes Menschensohns geoffenbart wurde. (27) Er [der Menschensohn] setzte sich auf den Thron seiner Herrlichkeit, und die Summe des Gerichts wurde ihm, dem Menschensohn, übergeben, und er lässt die Sünder und die, welche die Welt verführt haben, von der Oberfläche der Erde verschwinden und vertilgt werden.

 

Dieser „Menschensohn“ war bereits vor der Schöpfung bei Gott und wird in Ewigkeit bei ihm sein:

48,1-6: (1) An jenem Orte sah ich einen Brunnen der Gerechtigkeit, der unerschöpflich war. Rings umgaben ihn viele Brunnen der Weisheit; alle Durstigen tranken daraus und wurden voll von Weisheit, und sie hatten ihre Wohnungen bei den Gerechten, Heiligen und Auserwählten. (2) Zu jener Stunde wurde jener Menschensohn bei dem Herrn der Geister und sein Name vor dem Betagten genannt. (3) Bevor die Sonne und die [Tierkreis=]Zeichen geschaffen, [und] bevor die Sterne des Himmels gemacht wurden, wurde sein Name vor dem Herrn der Geister genannt. (4) Er wird ein Stab für die Gerechten und Heiligen sein, damit sie sich auf ihn stützen und nicht fallen; er wird das Licht der Völker und die Hoffnung derer sein, die in ihrem Herzen betrübt sind. (5) Alle, die auf dem Festlande wohnen, werden vor ihm niederfallen und anbeten und preisen, loben und lobsingen dem Namen des Herrn der Geister. (6) Zu diesem Zwecke war er auserwählt und verborgen vor ihm [Gott], bevor die Welt geschaffen wurde, und [er wird] bis in Ewigkeit vor ihm [sein].

 

In der Deutung der Vision (15-28) ist an der Stelle, wo wir eine Erklärung der Aussage, dass jemand, der  „wie der Sohn eines Menschen“ ist kommt und die Herrschaft erhält, überraschenderweise nicht von einer Einzelgestalt, sondern von den „Heiligen des Höchsten“ die Rede:

7,18:  Aber die Heiligen des Höchsten werden das Reich empfangen, und sie werden das Reich besitzen bis in Ewigkeit, ja, bis in die Ewigkeit der Ewigkeiten.“

7,21-22: (21) Ich sah, wie dieses Horn gegen die Heiligen Krieg führte und sie besiegte, (22) bis der, der alt an Tagen war, kam und das Gericht den Heiligen des Höchsten gegeben wurde und die Zeit anbrach, dass die Heiligen das Königreich in Besitz nahmen.

7,25: Und er wird Worte reden gegen den Höchsten und wird die Heiligen des Höchsten aufreiben; und er wird danach trachten, Festzeiten und Gesetz zu ändern, und sie werden in seine Hand gegeben werden für eine Zeit und zwei Zeiten und eine halbe Zeit.

7,27: Und das Reich und die Herrschaft und die Größe der Reiche unter dem ganzen Himmel wird dem Volk der Heiligen des Höchsten gegeben werden. Sein Reich ist ein ewiges Reich, und alle Mächte werden ihm dienen und gehorchen.“

 

Deshalb muss im Zusammenhang mit der Frage, wer oder was der ist, der „wie der Sohn eines Menschen“ beschrieben wird, auch berücksichtigt werden, dass er untrennbar mit dem „Volk der Heiligen des Höchsten“ verbunden ist. Möglicherweise handelt es sich um einen Repräsentanten des „Volk der Heiligen des Höchsten“. Oder aber „der Sohn eines Menschen“ ist – so wie zuvor die Tiere – einfach ein Symbol für ein Königreich („wie der Sohn eines Menschen“ als Entsprechung zu „wie ein Löwe“ oder „wie ein Leopard“).

 

Evangelikale und adventistische Bibelausleger denken dabei i.d.R. direkt an Jesus, der sich nach den Evangelien als „Sohn des Menschen“ bezeichnet hat (z.B. Mt.8,20). Dass er mit den Wolken des Himmels … zu dem Alten an Tagen“ kommt und er dort eine „ewige Herrschaft“ empfängt, deutet Maier auf die Himmelfahrt Jesu, während adventistische Bibelausleger daran denken, dass Jesus „das Reich nach dem Schluss seines priesterlichen Dienstes im Heiligtum“ empfängt (Smith, 125; vgl. Shea II, 142; ABC 4, 830).

 

Fest steht: Der, der wie der Sohn eines Menschen“ ist, wird zum „Alten an Tagen“ gebracht und ihm wird „Herrschaft und Ehre und Königtum gegeben“ (vgl. 5,18), so dass „alle Völker, Nationen und Sprachen“ (vgl. 5,19) ihm dienen. Das erinnert an eine „Inthronisationsfeier“ für einen König (Porteous, 90).

 

„Seine Herrschaft“ wird als „eine ewige Herrschaft“ charakterisiert (3,33; 4,31); sie wird nicht vergehen und nicht zerstört werden (vgl. 2,44-45; 6,27). „Damit werden die wichtigsten Aussagen in den vorangegangenen Erzählungen aufgenommen …“ (Plöger, 112).

 

 

Die Deutung befasst sich, nach einer kurzen Einleitung, zunächst mit den vier Tieren und der Verleihung der ewigen Königsherrschaft.

 

(15) Mir, Daniel, wurde mein Geist tief in meinem Innern bekümmert, und die Gesichte meines Hauptes erschreckten mich. (16) Ich näherte mich einem von denen, die dastanden, und bat ihn um genaue Auskunft über dies alles. Und er sprach zu mir und ließ mich die Deutung der Sachen wissen: (17) Diese großen Tiere – es sind vier – bedeuten: vier Könige werden sich von der Erde her erheben. (18) Aber die Heiligen des Höchsten werden das Reich empfangen, und sie werden das Reich besitzen bis in Ewigkeit, ja, bis in die Ewigkeit der Ewigkeiten.

 

(15-16) Bei den in den Kapiteln 2 und 4 geschilderten Visionen waren diejenigen, den sie widerfuhren, erschreckt (2,1; 4,2). Nun geschieht Daniel das Gleiche.

 

Außerdem wird er, „den man bisher stets erfolgreich um Auskunft bitten konnte, in die Lage versetzt, selbst um eine solche Auskunft bitten zu müssen“ (Plöger, 114). Er wendet sich an einen der Umherstehenden – vermutlich an einen Engel aus der großen Schar vor dem Thron Gottes (7,10) - um genaue Auskunft zu erhalten.

 

(17) Der erklärt ihm zunächst, was es mit den vier Tieren auf sich hat: „Diese großen Tiere – es sind vier – bedeuten: vier Könige werden sich von der Erde her erheben.“ Nach 7,23 geht es dabei nicht um einzelne Könige, sondern um Königreiche: „… Das vierte Tier bedeutet: ein viertes Königreich wird auf Erden sein, das von allen anderen Königreichen verschieden sein wird …“ Interessanterweise wird hier die Aussage, dass die vier Tiere „aus dem Meer“ (7,3) heraufkommen, so gedeutet, dass sie „sich von der Erde her erheben“.

 

(18) Dann wird die Verleihung der ewigen Königsherrschaft kommentiert (7,13-14). In der Vision war von einem, der wie der Sohn eines Menschen“ ist, die Rede, dem „Herrschaft und Ehre und Königtum gegeben“ wird. Überraschenderweise spricht die Deutung davon, dass die „Heiligen des Höchsten … das Reich empfangen“.

Dan 7,13-14

Dan.7,18

(13) Ich schaute in Gesichten der Nacht: und siehe, mit den Wolken des Himmels kam einer wie der Sohn eines Menschen. Und er kam zu dem Alten an Tagen, und man brachte ihn vor ihn. (14) Und ihm wurde Herrschaft und Ehre und Königtum gegeben, und alle Völker, Nationen und Sprachen dienten ihm. Seine Herrschaft ist eine ewige Herrschaft, die nicht vergeht, und sein Königtum so, dass es nicht zerstört wird.

Aber die Heiligen des Höchsten werden das Reich empfangen, und sie werden das Reich besitzen bis in Ewigkeit, ja, bis in die Ewigkeit der Ewigkeiten.

 

Wer sind die „Heiligen des Höchsten“? Von ihnen ist in der Deutung noch an anderen Stellen die Rede:

7,21-22: (21) Ich sah, wie dieses Horn gegen die Heiligen Krieg führte und sie besiegte, (22) bis der, der alt an Tagen war, kam und das Gericht den Heiligen des Höchsten gegeben wurde und die Zeit anbrach, dass die Heiligen das Königreich in Besitz nahmen.

7,25: Und er wird Worte reden gegen den Höchsten und wird die Heiligen des Höchsten aufreiben; und er wird danach trachten, Festzeiten und Gesetz zu ändern, und sie werden in seine Hand gegeben werden für eine Zeit und zwei Zeiten und eine halbe Zeit.

7,27: Und das Reich und die Herrschaft und die Größe der Reiche unter dem ganzen Himmel wird dem Volk der Heiligen des Höchsten gegeben werden. Sein Reich ist ein ewiges Reich, und alle Mächte werden ihm dienen und gehorchen.

 

In der Bibelwissenschaft gibt es dazu zwei Deutungen.

 

Nach der Einen sind hier Engel gemeint. Tatsächlich ist in Kapitel 4 von Engeln als „Heiligen“ die Rede (4,10.14.20). Die Schwierigkeit dieser Deutung liegt aber darin, dass sie erklären muss, wie Engel von einem irdischen König bekämpft und besiegt werden können (7,21.25). Hier wird dann darauf verwiesen, dass die Engel für „Festzeiten und Gesetz“ verantwortlich sind und deren Veränderung ein Anschlag auf die Engel sei (Lebram 91f.). Selbst wenn das gemeint sein sollte, handelt es sich nach 7,25 lediglich um den Versuch, „Festzeiten und Gesetz“ zu ändern, was schwerlich so verstanden werden kann, dass die Engel aufgerieben und besiegt werden (7,21.25).

 

Die andere Deutung versteht unter den „Heiligen des Höchsten“ ein Volk und verweist – zu Recht – darauf, dass von einem „Volk der Heiligen des Höchsten“ die Rede ist (7,27). Ein Volk kann bekämpft, aufgerieben und besiegt werden (7,21.25).

 

Wenn diese Deutung zutrifft, stellt sich natürlich die Frage, welches Volk denn gemeint ist. Oft wird es auf „Israel“ bzw. die „Treuen in Israel“ bezogen (Plöger, 118; Porteous, 92; Kessler, 104). Maier ist der Auffassung, dass es sich hier „um die messianische Gemeinde des Neuen Bundes einschließlich des bekehrten Israel“ handelt, „oder noch kürzer: um alle, die durch Jesus Christus erlöst sind“ (Maier, 285). Adventistische Bibelausleger formulieren allgemeiner und sprechen von „God’s faithful children on earth“ („Gottes treue Kinder auf Erden“; Stefanovic, 271) oder von denen, „welche in der Achtung dieser Welt klein dastehen, welche gehasst, geschmäht, verfolgt und ausgestoßen werden; diejenigen von denen man am wenigsten erwartete, dass sich jemals ihre Hoffnungen verwirklichen würden, diese werden das Reich Gottes einnehmen und es für immer und ewig besitzen“ (Smith, 125).

 

 

Mit diesen ersten Angaben ist Daniel aber nicht zufrieden und fragt nach. Dabei wiederholt er, was er gesehen hat.

(19) Daraufhin wollte ich Genaueres wissen über das vierte Tier, das von allen anderen verschieden war, außergewöhnlich schreckenerregend, dessen Zähne aus Eisen und dessen Klauen aus Bronze waren, das fraß, zermalmte und den Rest mit seinen Füßen zertrat, (20) und über die zehn Hörner auf seinem Kopf und über das andere <Horn>, das emporstieg und vor dem drei andere Hörner ausfielen. Und das Horn hatte Augen und einen Mund, der große Worte redete, und sein Aussehen war größer als das seiner Gefährten. (21) Ich sah, wie dieses Horn gegen die Heiligen Krieg führte und sie besiegte, (22) bis der, der alt an Tagen war, kam und das Gericht den Heiligen des Höchsten gegeben wurde und die Zeit anbrach, dass die Heiligen das Königreich in Besitz nahmen. –

 

(19-21) Bei seiner Wiederholung fügt er in den Versen 19-21 noch einige zusätzliche Details hinzu. Die folgende Tabelle stellt diese Verse den entsprechenden Ausführungen aus dem Visionsteil gegenüber. Die Hinzufügungen sind unterstrichen.

(7) Nach diesem schaute ich in Gesichten der Nacht: und siehe, ein viertes Tier, furchtbar und schreckenerregend und außergewöhnlich stark, und es hatte große eiserne Zähne; es fraß und zermalmte, und den Rest zertrat es mit seinen Füßen …

(19) Daraufhin wollte ich Genaueres wissen über das vierte Tier, das von allen anderen verschieden war, außergewöhnlich schreckenerregend, dessen Zähne aus Eisen und dessen Klauen aus Bronze waren, das fraß, zermalmte und den Rest mit seinen Füßen zertrat,

(7) … Und es war verschieden von allen Tieren, die vor ihm waren, und es hatte zehn Hörner. (8) Während ich auf die Hörner achtete, siehe, da stieg ein anderes, kleines Horn zwischen ihnen empor, und drei von den ersten Hörnern wurden vor ihm ausgerissen; und siehe, an diesem Horn waren Augen wie Menschenaugen und ein Mund, der große Worte redete.

(20) und über die zehn Hörner auf seinem Kopf und über das andere Horn, das emporstieg und vor dem drei andere Hörner ausfielen. Und das Horn hatte Augen und einen Mund, der große Worte redete, und sein Aussehen war größer als das seiner Gefährten.

 

(21) Ich sah, wie dieses Horn gegen die Heiligen Krieg führte und sie besiegte,

 

Die wichtigste Hinzufügung ist sicher die von Vers 21 (zur Deutung vgl. 7,25).

 

(22) Hier werden die Ausführungen der Vision verkürzt wiedergeben. Die folgende Tabelle stellt die einschlägigen Verse wieder nebeneinander. Die Unterstreichungen in der linken Spalte zeigen an, welche Aussagen des Visionsteils wiederholt werden.

(9) Ich schaute, bis Throne aufgestellt wurden und einer, der alt war an Tagen, sich setzte. Sein Gewand war weiß wie Schnee und das Haar seines Hauptes wie reine Wolle, sein Thron Feuerflammen, dessen Räder ein loderndes Feuer. (10) Ein Feuerstrom floss und ging von ihm aus. Tausend mal Tausende dienten ihm, und zehntausend mal Zehntausende standen vor ihm. Das Gericht setzte sich, und Bücher wurden geöffnet. (11) Dann schaute ich wegen der Stimme der großen Worte, die das Horn redete: ich schaute, bis das Tier getötet und sein Leib zerstört und dem Brand des Feuers übergeben wurde. (12) Und den übrigen Tieren wurde ihre Herrschaft weggenommen, und Lebensdauer wurde ihnen gegeben bis auf Zeit und Stunde. (13) Ich schaute in Gesichten der Nacht: und siehe, mit den Wolken des Himmels kam einer wie der Sohn eines Menschen. Und er kam zu dem Alten an Tagen, und man brachte ihn vor ihn.
(14) Und ihm wurde Herrschaft und Ehre und Königtum gegeben, und alle Völker, Nationen und Sprachen dienten ihm. Seine Herrschaft ist eine ewige Herrschaft, die nicht vergeht, und sein Königtum so, dass es nicht zerstört wird.

(22) bis der, der alt an Tagen war, kam und das Gericht den Heiligen des Höchsten gegeben wurde und die Zeit anbrach, dass die Heiligen das Königreich in Besitz nahmen. –

 

Wie bereits erwähnt, ist in der Deutung nicht von einem, der wie der Sohn eines Menschen“ ist, die Rede, sondern von den Heiligen des Höchsten“.

 

Wo die Elberfelder Bibel übersetzt, dass das Gericht den Heiligen des Höchsten gegeben wurde“, geben andere diese Worte mit „und Recht schuf den Heiligen des Höchsten“ (Luther-Bibel) bzw. mit „und ein Urteil gefällt wurde zugunsten der Heiligen des Höchsten“ (Porteous, 76) wieder.

 

Maier kommentiert diese Problematik folgendermaßen:

„Hier sind zwei Möglichkeiten der Deutung offen. Entweder man versteht ‚Gericht‘ im Sinne von ‚Gerechtigkeit‘ und kann dann übersetzen: ‚die Genugtuung den Heiligen des Höchsten gegeben wurde‘ (so Gesenius, S. 902), bzw. ‚Recht schaffte den Heiligen des Höchsten‘ (so der Luthertext …). Oder man versteht ‚Gericht‘ als Zu-Gericht-sitzen und damit als Ausdruck der Herrschaft. Wegen der Verbindung mit V. 18 und V. 27, sowie mit 1 Ko 6,2 und Offb 20,4, verdient letztere Deutung wohl den Vorzug.“ (Maier, 288)

 

Für „Gericht“ steht hier das gleiche Wort wie in 7,10 („… Das Gericht setzte sich …“). Daher gibt es keinen Grund, dieses Wort nun mit „Recht schaffen“ etc. zu übersetzen – auch wenn der Gedanke, dass das Gericht den Heiligen des Höchsten gegeben wurde“, neu und überraschend ist (im NT findet er sich in 1.Kor.6,2 und Offb.20,4).

 

Bei adventistische Bibelauslegern finden wir beide Auslegungen. Stefanovic spricht von einem Gericht zugunsten der Heiligen (Stefanovic, 270: „… judgement in favor of the saints …“), während Uriah Smith, der „Pionier“ der traditionellen adventistischen Deutung, diese Aussage auf das in Offb.20,1-4 geschilderte Tausendjährige Reich bezieht (Smith, 128). Der adventistische Bibelkommentar erwähnt beide Deutungen (ABC 4, 830).

 

 

Nachdem Daniel die ihm wichtigen Aspekte der Vision wiederholt hat, werden sie ihm gedeutet:


(23) Er sprach so: Das vierte Tier bedeutet: ein viertes Königreich wird auf Erden sein, das von allen anderen Königreichen verschieden sein wird. Es wird die ganze Erde auffressen und sie zertreten und sie zermalmen. (24) Und die zehn Hörner bedeuten: aus diesem Königreich werden sich zehn Könige erheben. Und ein anderer wird sich nach ihnen erheben, und dieser wird verschieden sein von den vorigen, und er wird drei Könige erniedrigen. (25) Und er wird Worte reden gegen den Höchsten und wird die Heiligen des Höchsten aufreiben; und er wird danach trachten, Festzeiten und Gesetz zu ändern, und sie werden in seine Hand gegeben werden für eine Zeit und zwei Zeiten und eine halbe Zeit.

(26) Aber das Gericht wird sich setzen; und man wird seine Herrschaft wegnehmen, um sie zu vernichten und zu zerstören bis zum Ende. (27) Und das Reich und die Herrschaft und die Größe der Reiche unter dem ganzen Himmel wird dem Volk der Heiligen des Höchsten gegeben werden. Sein Reich ist ein ewiges Reich, und alle Mächte werden ihm dienen und gehorchen.

 

(23) Zunächst erfolgt die Deutung des vierten Tieres. Gegenüber den vorherigen Aussagen wird hier lediglich gesagt, dass es sich um ein „viertes Königreich … auf Erden“ handelt.

(23) Er sprach so: Das vierte Tier bedeutet: ein viertes Königreich wird auf Erden sein, das von allen anderen Königreichen verschieden sein wird. Es wird die ganze Erde auffressen und sie zertreten und sie zermalmen.

(7) Nach diesem schaute ich in Gesichten der Nacht: und siehe, ein viertes Tier, furchtbar und schreckenerregend und außergewöhnlich stark, und es hatte große eiserne Zähne; es fraß und zermalmte, und den Rest zertrat es mit seinen Füßen …

(19) Daraufhin wollte ich Genaueres wissen über das vierte Tier, das von allen anderen verschieden war, außergewöhnlich schreckenerregend, dessen Zähne aus Eisen und dessen Klauen aus Bronze waren, das fraß, zermalmte und den Rest mit seinen Füßen zertrat,

 

In der Bibelwissenschaft wird das „vierte Königreich“ in der Regel auf das von Alexander dem Großen gegründete griechische Weltreich bezogen. Adventistische Ausleger deuten es auf das römische Weltreich. Maier sieht darin „die [zukünftige] antichristliche Weltmacht als solche“ (Maier, 273).

 

(24a) Dann geht es um die „zehn Hörner“. Bei ihnen handelt es sich um „zehn Könige“, die sich aus „diesem Königreich“ – gemeint ist das „vierte Königreich“„erheben“.

 

Ausleger, die das „vierte Königreich“ auf Griechenland beziehen, haben versucht, eine Liste von zehn Königen dieses Weltreiches zu erstellen (Plöger, 116). Adventistische Bibelausleger beziehen diese Aussage in der Regel auf „zehn Nachfolgestaaten des römischen Weltreichs“ (Shea I, 154; ABC 4, 826), wobei auch ein symbolisches Verständnis der Zahl zehn vertreten wird (Shea II, 125; Stefanovic, 253).

 

(24b-25) Dann wird endlich das „kleine Horn“ angesprochen. Es ist, entsprechend der vorangegangenen Aussagen, „ein anderer“ König.

 

Die Bibelwissenschaft denkt i.d.R. an Antiochus IV. Epiphanes, dessen Wirken in 1.Makk.1,16ff. geschildert wird.

 

Adventistische Bibelausleger beziehen diese Aussagen auf das Papsttum und Maier sieht „im kleinen Horn den persönlichen Antichrist“ (Maier, 273).

 

Auch hier ist es sinnvoll, die verschiedenen Aussagen aus dem Visions- und Deutungsteil nebeneinander zu stellen: 

(24) … Und ein anderer wird sich nach ihnen erheben, und dieser wird verschieden sein von den vorigen, und er wird drei Könige erniedrigen. (25) Und er wird Worte reden gegen den Höchsten und wird die Heiligen des Höchsten aufreiben; und er wird danach trachten, Festzeiten und Gesetz zu ändern, und sie werden in seine Hand gegeben werden für eine Zeit und zwei Zeiten und eine halbe Zeit.

(8) Während ich auf die Hörner achtete, siehe, da stieg ein anderes, kleines Horn zwischen ihnen empor, und drei von den ersten Hörnern wurden vor ihm ausgerissen; und siehe, an diesem Horn waren Augen wie Menschenaugen und ein Mund, der große Worte redete.

 

(20) und über die zehn Hörner auf seinem Kopf und über das andere Horn, das emporstieg und vor dem drei andere Hörner ausfielen. Und das Horn hatte Augen und einen Mund, der große Worte redete, und sein Aussehen war größer als das seiner Gefährten. (21) Ich sah, wie dieses Horn gegen die Heiligen Krieg führte und sie besiegte,

 

Folgende Aussagen dieser Deutung konkretisieren die bisherigen Hinweise:

 

1.

Er wird „verschieden sein von den vorigen“ (vgl. 7,20: „… und sein Aussehen war größer als das seiner Gefährten“)

 

2.

Er wird „drei Könige erniedrigen“. Ausleger, die das „vierte Königreich“ auf Griechenland verstehen, deuten das „kleine Horn“ auf Antiochus IV. Epiphanes und haben auch hier einen entsprechenden Vorschlag bzgl. der drei König gemacht, die er erfolgreich bekämpft hat (Plöger, 116). Adventistische Bibelausleger sehen im kleinen Horn das Papsttum und sehen in den drei Königen germanische Königreiche, die von ihm bekämpft wurden (Shea II, 127: Ostgoten, Vandalen, Westgoten; Smith, 139, Stefanovic, 280: Heruler, Vandalen, Ostgoten)

 

3.

Dann wird erklärt, was mit dem „Mund, der große Worte redete“ gemeint ist. Es geht um Worte „gegen den Höchsten“. Ähnlich heißt es in 11,36: „Und der König wird nach seinem Belieben handeln, und er wird sich erheben und sich groß machen gegen jeden Gott, und gegen den Gott der Götter wird er unerhörte Reden führen. Und er wird Erfolg haben, bis die Verfluchung vollendet ist, denn das Festbeschlossene wird vollzogen.“ Es handelt sich hier um den „König des Nordens“, von dem im elften Kapitel ausführlich die Rede ist und dessen Identität im Zusammenhang mit der Auslegung dieses Kapitels geklärt werden muss.

 

4.

Dass das „kleine Horn“ die „Heiligen des Höchsten“ aufreibt, entspricht 7,21: Ich sah, wie dieses Horn gegen die Heiligen Krieg führte und sie besiegte.“

 

5.

Neu ist der Hinweis, dass das „kleine Horn“ versuchen wird, „Festzeiten und Gesetz“ zu ändern.

 

Viele Bibelwissenschaftler beziehen diese Aussage auf Termine des kultischen Kalenders (z.B. Plöger, 117; Lebram 91f.).

 

In der adventistischen Auslegung wird in der Regel auf den Sabbat Bezug genommen (Shea II, 128; Smith, 144). Nach Stefanovic geht es um wichtige Tage des hebräischen Festkalenders einschließlich des Sabbats (Stefanovic, 274).

 

Wo die Elberfelder Bibel mit „Festzeiten“ übersetzt, steht das aramäische Wort sěmān, das mit „festgesetzte Zeiten“ bzw. „Fristen“ zu übersetzen ist (die Übersetzung „Festzeiten“ ist demgegenüber bereits Interpretation). Es findet sich im AT noch an folgenden Stellen:

Dan.2,16: Und Daniel ging hinein und erbat sich vom König, dass er ihm eine Frist gewähre, dem König die Deutung kundzutun.

Dan.2,21: Er ändert Zeiten und Fristen, er setzt Könige ab und setzt Könige ein …

Dan.3,7: Deshalb, sobald alle Völker den Klang des Horns, der Rohrpfeife, der Zither, der Harfe, der Laute und alle Arten von Musik hörten, fielen alle Völker, Nationen und Sprachen nieder, indem sie sich vor dem goldenen Bild niederwarfen, das der König Nebukadnezar aufgestellt hatte.

Dan.3,8: Deshalb traten zur selben Zeit <einige> Männer heran, nämlich Sterndeuter, die die Juden verklagten.

Dan.4,33: Zu derselben Zeit kehrte mein Verstand zu mir zurück, und zur Ehre meines Königtums kehrten meine Herrlichkeit und mein Glanz zu mir zurück. Und meine Staatsräte und meine Gewaltigen suchten mich auf, und ich wurde wieder in mein Königtum eingesetzt, und außergewöhnliche Größe wurde mir hinzugefügt.

Dan.6,11: Und als Daniel erfuhr, dass das Schriftstück ausgefertigt war, ging er in sein Haus. Er hatte aber in seinem Obergemach offene Fenster nach Jerusalem hin; und dreimal am Tag kniete er auf seine Knie nieder, betete und pries vor seinem Gott, wie er es auch vorher getan hatte.

Dan.6,14: Darauf antworteten sie und sprachen vor dem König: Daniel, einer der Weggeführten aus Juda, schenkt weder dir, o König, noch dem Verbot, das du hast ausfertigen lassen, Beachtung; sondern er betet dreimal am Tag.

Daniel 7,12: Und den übrigen Tieren wurde ihre Herrschaft weggenommen, und Lebensdauer wurde ihnen gegeben bis auf Zeit und Stunde.

Daniel 7,22 (REB): bis der, der alt an Tagen war, kam und das Gericht den Heiligen des Höchsten gegeben wurde und die Zeit anbrach, dass die Heiligen das Königreich in Besitz nahmen.

Esr.5,3: Zur selben Zeit kamen Tattenai, der Verwalter jenseits des Stromes, und Schetar-Bosnai

 

Diese Übersicht zeigt, dass der Begriff an keiner Stelle mit „Festzeiten“ übersetzt wird. Daher ist es sinnvoll, bei der „neutralen“ Übersetzung von „festgesetzten Zeiten“ bzw. „Fristen“ zu bleiben.

 

Nun geht es ja darum, dass das „kleine Horn“ den Versuch unternimmt, die festgesetzten Zeiten bzw. Fristen „zu ändern“.  Davon ist nur noch in 2,21 die Rede, wo gesagt wird, dass Gott „Zeiten und Fristen“ ändert und Könige ein- und absetzt. Es geht also um Fristen, die Gott den jeweiligen Königen für ihre Herrschaft eingeräumt hat. Wenn das „kleine Horn“ daran etwas ändern will, handelt es sich daher um den Versuch, an Stelle Gottes selbst den Lauf der Geschichte zu bestimmen.

 

Dementsprechend schlägt der adventistische Bibelkommentar folgende Auslegung vor:

„A suggestion as to the meaning of the expression of the expression ‘to change times’ is given in ch. 2:21, where the identical Aramaic words for ‘change’ and ‘times’ are again coupled together. However, Daniel there ascribes to God the prerogative to change times. It is God who has the destiny of nations under His control. It is He who ‘removeth kings, and setteth up kings’ (ch. 2:21). … It is God who determines also the ‘time’ (Aramaic zeman) that the saints shall possess the kingdom (ch. 7:22). For the little horn to endeavor to change times would indicate a deliberate attempt to exercise the prerogative of God in shaping the course of human history.” (ABC 4, 831).

[„Ein Hinweis auf die Bedeutung des Ausdrucks ‚Zeiten ändern‘ wird in Kap. 2,21 gegeben, wo die identischen aramäischen Wörter für ‚Veränderung‘ und ‚Zeiten‘ wieder miteinander verbunden sind. Allerdings schreibt Daniel dort Gott das Vorrecht zu, die Zeiten zu ändern. Es ist Gott, der das Schicksal der Nationen unter seiner Kontrolle hat. Er ist es, der "Könige entfernt und Könige aufstellt" (Kap.2,21). … Es ist Gott, der auch die ‚Zeit‘ (aramäischer Zeman) bestimmt, dass die Heiligen das Reich besitzen werden (Kap.7,22). Die Bemühungen des kleinen Horns, die Zeiten zu ändern, sind ein bewusster Versuch, das Vorrecht Gottes bei der Gestaltung des Laufs der Menschheitsgeschichte auszuüben.“]

 

Das „kleine Horn“ versucht aber nicht nur, die von Gott vorgegebenen Fristen für den Lauf der Weltgeschichte zu ändern, sondern auch das „Gesetz“. In 7,25 steht aber nicht der Begriff „Thora“, sondern der allgemeine Begriff t, der mit „Befehl“ oder „Urteil“ zu übersetzen ist. Er findet sich an folgenden Stellen des AT:

Dan.2,9: Wenn ihr mir den Traum nicht mitteilt, bleibt es bei eurer Verurteilung. Denn ihr habt euch verabredet, Lug und Trug vor mir zu reden, bis die Zeit sich ändert. Darum sagt mir den Traum! Und ich werde wissen, dass ihr mir seine Deutung kundtun könnt.

Dan.2,13: Und es erging der Befehl: »Die Weisen sollen getötet werden!« Und man suchte auch Daniel und seine Gefährten, um sie zu töten.

Dan.2,15: indem er dem Arjoch, dem Bevollmächtigten des Königs, antwortete und sagte: Warum der strenge Befehl vom König? Da teilte Arjoch dem Daniel die Sache mit.

Dan.6,6: Da sagten diese Männer: Wir werden bei diesem Daniel keinen Anklagegrund finden, es sei denn, dass wir im Gesetz seines Gottes etwas gegen ihn finden.

Dan.6,9: Nun, o König, erlass das Verbot und lass ein Schriftstück ausfertigen, das nicht geändert werden darf nach dem Gesetz der Meder und Perser, das unaufhebbar ist!

Dan. 6,13: Darauf näherten sie sich dem König und sprachen vor ihm bezüglich des königlichen Verbotes: Hast du nicht ein Verbot ausfertigen lassen, dass jedermann, der innerhalb von dreißig Tagen von irgendeinem Gott oder Menschen etwas erbittet außer von dir, o König, in die Löwengrube geworfen werden sollte? Der König antwortete und sprach: Das Wort ist unumstößlich nach dem Gesetz der Meder und Perser, das unaufhebbar ist.

Dan.6,16: Da stürzten diese Männer zum König und sagten zum König: Wisse, o König, dass die Meder und Perser ein Gesetz haben, wonach kein Verbot und keine Verordnung, die der König erlassen hat, abgeändert werden darf!

Esr.7,12: Artahsasta, der König der Könige, an Esra, den Priester, den Beauftragten für das Gesetz des Gottes des Himmels, vollkommenes Heil! Und nun:

Esr.7,14: weil du von seiten des Königs und seiner sieben Räte gesandt bist, um eine Untersuchung über Juda und Jerusalem anzustellen nach dem Gesetz deines Gottes, das in deiner Hand ist,

Esr.7,21: Von mir persönlich, dem König Artahsasta, wird hiermit an alle Schatzmeister jenseits des Stromes Befehl gegeben: Alles, was Esra, der Priester, der Beauftragte für das Gesetz des Gottes des Himmels, von euch fordern wird, soll gewissenhaft getan werden,

Esr.7,25: Du aber, Esra, setze nach der Weisheit deines Gottes, die in deiner Hand ist, Richter und Rechtsprecher ein, die dem ganzen Volk Recht sprechen sollen, das jenseits des Stromes ist, allen, die die Gesetze deines Gottes kennen. Und wer sie nicht kennt, dem sollt ihr sie mitteilen.

Esr.7,26: Und jeder, der das Gesetz deines Gottes und das Gesetz des Königs nicht befolgt, an dem soll mit Eifer Gericht geübt werden, es sei zum Tode oder zur Verbannung oder zur Geldstrafe oder zum Gefängnis.

 

Vom Begriff t her gibt es daher keinen Grund, diese Aussage auf die Thora, ein bestimmtes Gebot der Thora oder eines der Zehn Gebote Dekalogs zuzuspitzen – was adventistische Bibelausleger jedoch in der Regel tun (ABC 4, 832).

 

6.

Die Heiligen des Höchsten werden „für eine Zeit und zwei Zeiten und eine halbe Zeit“ in die „Hand“ des „kleinen Horns“ gegeben. Von diesem Zeitabschnitt ist im Buch Daniel auch in 12,6-7 die Rede: „(6) Und einer sagte zu dem in Leinen gekleideten Mann, der oben über dem Wasser des Stromes war: Wann ist das Ende dieser außergewöhnlichen Ereignisse? (7) Und ich hörte den in Leinen gekleideten Mann, der oben über dem Wasser des Stromes war, und er erhob seine Rechte und seine Linke zum Himmel und schwor bei dem, der ewig lebt: Zeit, Zeiten und eine halbe Zeit! Und wenn die Zerschlagung der Kraft des heiligen Volkes abgeschlossen sein wird, wird alles dies vollendet werden.“ Auch danach handelt es sich um eine außergewöhnlich Zeit der Verfolgung.

 

Zusammengezählt geht es um dreieinhalb Jahre, was an den Zeitabschnitt im Wirken des Propheten Elia erinnert, in dem es in Israel nicht regnete und er sich aufgrund der Nachstellungen des Königs verstecken musste (Luk.4,25; Jak.5,17).

 

Im Hinblick auf die konkreten Zeitabschnitte wird meist an die dreieinhalb Jahre dauernde Herrschaft des Antiochus über Jerusalem gedacht.

 

Adventistische Bibelausleger verstehen die dreieinhalb Jahre in der Regel nach dem „Jahr-Tag-Prinzip“ als 1260 Jahre und beziehen sie auf den Zeitraum päpstlicher Weltherrschaft bzw. einer Zeit der Verfolgung der wahren Christen durch das Papsttum:

„Der Beginn dieser Verfolgung kann auf das Jahr 538 n. Chr. datiert werden. Justinians Erlass, der den Bischof von Rom zum Haupt aller Kirchen machte, erging 533. Er konnte allerdings erst wirksam werden, als die Stadt Rom selbst aus der Gewalt der Ostgoten befreit wurde. Das geschah im Jahr 538, als der General Belisar den ostgotischen Belagerungsring um Rom sprengte. Er jagte den Goten bis zu ihrer Hauptstadt Ravenna nach. Die Ostgoten wurden zwar erst im Jahr 555 endgültig besiegt, aber bereits 538 konnte der Bischof von Rom ungehindert die Autorität ausüben, die ihm der Kaiser verliehen hatte. Zum ersten Mal seit über sechzig Jahren (476-538 n. Chr.) unterstand der römische Bischof nicht mehr germanischen Herrschern.

Das Ende der 1260 Jahre dauernden prophetischen Zeitspanne lässt sich leichter ermitteln. Es fällt auf das Jahr 1798, als französische Revolutionstruppen den Papst gefangen nahmen und aus Rom verbannten.“ (Shea II, 130 vgl. Smith, 145f.; Stefanovic, 282; ABC 4, 834).

 

(26) Dann wendet sich die Auslegung dem Gericht zu:

(26) Aber das Gericht wird sich setzen; und man wird seine Herrschaft wegnehmen, um sie zu vernichten und zu zerstören bis zum Ende.

(9) Ich schaute, bis Throne aufgestellt wurden und einer, der alt war an Tagen, sich setzte … (10) … Das Gericht setzte sich, und Bücher wurden geöffnet. (11) Dann schaute ich wegen der Stimme der großen Worte, die das Horn redete: ich schaute, bis das Tier getötet und sein Leib zerstört und dem Brand des Feuers übergeben wurde.

(22) bis der, der alt an Tagen war, kam und das Gericht den Heiligen des Höchsten gegeben wurde und die Zeit anbrach, dass die Heiligen das Königreich in Besitz nahmen.

 

Hier wird noch einmal deutlich, dass das Gericht dazu dient, die Herrschaft des „kleinen Horns“ zu beenden – und zwar ein für alle Mal.

 

(27) Abschließend geht es in der Deutung darum, dass die Herrschaft stattdessen „dem Volk der Heiligen des Höchsten gegeben“ wird.

(27) Und das Reich und die Herrschaft und die Größe der Reiche unter dem ganzen Himmel wird dem Volk der Heiligen des Höchsten gegeben werden. Sein Reich ist ein ewiges Reich, und alle Mächte werden ihm dienen und gehorchen. –

(13) Ich schaute in Gesichten der Nacht: und siehe, mit den Wolken des Himmels kam einer wie der Sohn eines Menschen. Und er kam zu dem Alten an Tagen, und man brachte ihn vor ihn. (14) Und ihm wurde Herrschaft und Ehre und Königtum gegeben, und alle Völker, Nationen und Sprachen dienten ihm. Seine Herrschaft ist eine ewige Herrschaft, die nicht vergeht, und sein Königtum so, daß es nicht zerstört wird.

(18) Aber die Heiligen des Höchsten werden das Reich empfangen, und sie werden das Reich besitzen bis in Ewigkeit, ja, bis in die Ewigkeit der Ewigkeiten.

 

Der „bisherige, das heilige Volk und seine Ordnung mit Füßen tretende Machthaber wird vom Stuhl gestoßen, und die bisher Bedrängten und Vergewaltigten werden zu Macht und Herrschaft erhöht.“ (Kessler, 98).HierHierklkjl

 

 

 

Nach Ende der Deutung der Vision wird das Kapitel mit einem kurzen Hinweis auf die Reaktion Daniels abgeschlossen.

 

(28) Hier endet der Bericht. Mich, Daniel, ängstigten meine Gedanken sehr, und meine Gesichtsfarbe veränderte sich an mir. Und ich bewahrte die Sache in meinem Herzen.

 

Wie bei den anderen Visionsberichten wird abschließend die Reaktion auf die Deutung berichtet (2,46ff.; 8,27). Er ist verängstigt (vgl. 7,15: „Mir, Daniel, wurde mein Geist tief in meinem Innern bekümmert, und die Gesichte meines Hauptes erschreckten mich.“). Sogar seine Gesichtsfarbe ändert sich (vgl. 10,8).

 

Interessant ist der Hinweis, dass er „die Sache“ in seinem „Herzen“ bewahrte. Das heißt vermutlich, dass er sie (erst mal) nicht öffentlich gemacht hat. Möglicherweise soll diese Aussage auch auf die folgenden Visionen hinweisen, durch die ihm weitere Informationen gegeben werden (Porteous, 96; Plöger, 118).

 

 

Zusammenfassung: Imperialistische Mächte erheben sich über Gott und bekämpfen die Gläubigen. Aber Gott hält Gericht über sie und übergibt die Herrschaft für immer an sein Volk.