3       Die drei Männer im Feuerofen (3,1-30)

 

 

Wurde in Kapitel 2 deutlich, dass Gottes Reich alle menschlichen Königreiche überwinden und ersetzen wird, zeigt die nun folgenden Begebenheit, dass „im Verlauf der Geschichte Gottesreich und Weltreiche einander nicht nur gewissermaßen naturgesetzlich ablösen, sondern in einem letzten, entscheidenden Kampf einander gegenüber treten.“ (Maier, 141).

 

 

Dieses Thema wird im Zusammenhang mit der Aufstellung eines Standbildes und dessen feierlicher Einweihung behandelt.

 

(1) Der König Nebukadnezar machte ein Bild aus Gold: seine Höhe betrug sechzig Ellen, seine Breite sechs Ellen. Er stellte es auf in der Ebene Dura, in der Provinz Babel. (2) Und der König Nebukadnezar sandte Boten aus, um die Satrapen, die Statthalter und die Verwalter, die Berater, die Schatzmeister, die Richter, die Polizeibefehlshaber und alle Oberbeamten der Provinzen zu versammeln, damit sie zur Einweihung des Bildes kämen, das der König Nebukadnezar aufgestellt hatte. (3) Daraufhin versammelten sich die Satrapen, die Statthalter und die Verwalter, die Berater, die Schatzmeister, die Richter, die Polizeibefehlshaber und alle Oberbeamten der Provinzen zur Einweihung des Bildes, das der König Nebukadnezar aufgestellt hatte; und sie standen vor dem Bild, das Nebukadnezar aufgestellt hatte. (4) Und der Herold rief laut: Euch wird befohlen, ihr Völker, Nationen und Sprachen: (5) Sobald ihr den Klang des Horns, der Rohrpfeife, der Zither, der Harfe, der Laute, des Dudelsacks und alle Arten von Musik hört, sollt ihr niederfallen und euch vor dem goldenen Bild niederwerfen, das der König Nebukadnezar aufgestellt hat. (6) Wer aber nicht niederfällt und anbetet, der soll sofort in den brennenden Feuerofen geworfen werden.(7) Deshalb, sobald alle Völker den Klang des Horns, der Rohrpfeife, der Zither, der Harfe, der Laute und alle Arten von Musik hörten, fielen alle Völker, Nationen und Sprachen nieder, indem sie sich vor dem goldenen Bild niederwarfen, das der König Nebukadnezar aufgestellt hatte.

 

(1) König Nebukadnezar macht „ein Bild aus Gold“. Unklar ist, ob es sich dabei um ein Bild des Königs oder um das Bild eines Gottes handelt.

 

Geht es um ein Gegenbild zum „Bild“ aus Kapitel 2, das im Unterschied zu jenem Bild ganz aus Gold besteht, um dadurch auszudrücken, dass dem babylonischen Weltreich, dem „Haupt aus Gold“, kein anderes Weltreich folgen wird (ABC 4, 780)? Fest steht: Nebukadnezar hat „überlebensgroße Standbilder, um öffentlich seine Herrschaft zu repräsentieren, nicht nur in der Hauptstadt, sondern auch in unterworfenen Gebieten als ‚ewiges Bild meiner Majastät‘ aufstellen lassen (…). Doch sie waren aus Stein, nicht aus Gold gefertigt, und nirgendwo ist belegt, dass der König für sie religiöse Verehrung gefordert hätte.“ (Koch, 268).

 

Die meisten Bibelausleger sind daher der Auffassung, dass es sich bei dem Bild aus Gold um eine Götterstatue handelt (Koch, 268; Kessler, 51; Maier, 144; Shea I, 97; Stefanovic, 122.127), z.B. um eine „überdimensionale Statue Marduks“ (Shea I, 97). Dafür sprechen auch die Verse 14 und 18:

Vers 14: Nebukadnezar fing an und sagte zu ihnen: Ist es Absicht, Schadrach, Meschach und Abed-Nego, dass ihr meinen Göttern nicht dient und euch vor dem goldenen Bild, das ich aufgestellt habe, nicht niederwerft?

Vers 18: oder ob nicht: es sei dir jedenfalls kund, o König, dass wir deinen Göttern nicht dienen und uns vor dem goldenen Bild, das du aufgestellt hast, nicht niederwerfen werden.

Den Göttern nicht zu dienen und sich nicht vor dem goldenen Bild niederzuwerfen meint nach diesen Aussagen offenbar ein und dasselbe. Also handelt es bei dem goldenen Bild wahrscheinlich um ein Götterbild.

 

Allerdings ist davon auszugehen, dass Nebukadnezar nicht allein von religiösen Motiven getrieben wird. Aufgrund der untrennbaren „Einheit von Religion und Politik in der altorientalischen Auffassung“ handelt es sich hier vielmehr um „eine Loyalitätsbekundung, eine Treueerklärung gegenüber Herrscher und Reich“, was auch „erklärt …, dass besonders die höheren weltlichen Beamten der Provinzen zur Teilnahme an der Einweihung der Bildsäule herbeordert werden (V. 2)“ (Kessler, 51; vgl. Shea I, 98f.).

 

Das Bild ist „sechzig Ellen“ hoch und „sechs Ellen“ breit (30 x 3 Meter). Diese ungewöhnlichen Proportionen lassen sich vielleicht dadurch erklären, dass die eigentliche Figur auf einer Säule steht – oder dadurch, dass es sich um symbolische Zahlenangaben handelt (Stefanovic, 122).

 

Unklar ist, wo die „Ebene Dura“ zu lokalisieren ist. Fest steht, dass sie „in der Provinz Babel“ liegt.

 

(2-3) „Zur Einweihung des Bildes“ lädt der König die leitenden Beamten seines Königreiches ein.

 

Die Deutung der einzelnen Amtsbezeichnung ist unsicher. Außerdem wird vermutet, dass es sich um Begriffe aus späterer Zeit handelt, die vom Verfasser des Buches Daniel auf babylonische Verhältnisse rückübertragen worden sind (Plöger, 59).

 

Dabei werden zunächst „die Satrapen, die Statthalter und die Verwalter“ genannt. Es handelt sich um die obersten Amtsträger der jeweiligen Regionen – in abgestufter Reihenfolge:

Amtsbezeichnung

Bedeutung

Paralleltexte

Satrapen

Im antiken Perserreich der Titel des Statthalters einer größeren Provinz (Satrapie). Satrapen hatten eine politisch-administrative und militärische Leitungsfunktion, entsprechend einem heutigen Gouverneur.

3,27; 6,2.3.4.5.7.8

 

Statthalter

hier evtl. Stellvertreter des Satrapen

3,27; 6,8

 

Verwalter

Landpfleger, Provinzgouverneur

 

Esr.: 5,3.6.14; 6,6.7.13

Dan.3,27; 6,8

 

Dann folgen weitere Beamte, die in 3,24.27 mit dem Begriff „Staatsräte“ zusammengefasst werden:  „… die Berater, die Schatzmeister, die Richter, die Polizeibefehlshaber und alle Oberbeamten …“

 

Sie alle stehen „vor dem Bild“. Dabei handelt es sich um eine „Staatsfeier zur Befestigung der Einheit des Reiches“ (Maier, 146), die König Nebukadnezar möglicherweise nach der Niederschlagung eines Aufstandes gegen seine Herrschaft anordnet (Shea I, 98f.).

 

(4-7) Nachdem alle wichtigen Personen der Provinzen versammelt sind, ergreift der „Herold“ das Wort. Er ist „einer der höchsten Verwaltungsfunktionäre des Staates … oft an zweiter oder dritter Stelle hinter dem König … Im Auftrag des Königs hat der entsprechende Amtsträger das Heer zu versammeln und ihm den königlichen Befehl kundzutun. Darüber hinaus bedarf der König solcher Funktionäre zum Verkehr mit den Völkern der Erde.“ (Koch, 278).

 

Der Herold wendet sich an die „Völker, Nationen und Sprachen“ des Reiches. „Ein Reich galt in jener Zeit nicht als nationale Einheit, sondern als Zusammenfassung verschiedener Völker (2,38), denen dann auch die Beamten entnommen sind.“ (Lebram, 60).

 

Er teilt ihnen den Befehl des Königs mit, beim Einsetzen der Musik vor dem goldenen Bild niederzufallen und anzubeten.

 

In diesem Zusammenhang werden verschiedene Musikinstrumente erwähnt. Das entspricht den Abbildungen altorientalischer Reliefs, bei denen „im Zusammenhang feierlicher Anlässe mehrere Musiker mit unterschiedlichen Instrumenten abgebildet“ werden, „darunter zumeist je ein Blas-, Seiten- und Schlaginstrument (…). Auch das Alte Testament erwähnt solche Zusammenstellungen; so lässt Ps 150 zum feierlichen Halleluja der Gemeinde (am Tempel) gleich neun verschiedene Instrumente einstimmen; und die Hörer haben es offensichtlich ausgehalten. Von da aus gesehen, erscheint nicht nur die Vielzahl, sondern auch die Reihenfolge in V. 5 nicht zufällig. Vorangestellt wird das monoton tönende Horn, das vielleicht den Rhythmus zu markieren hat. Es folgt eine zu reicher Melodieführung geeignete Flöte. Als Saiteninstrumente zum Zupfen (Streicher sind im Altertum unbekannt) werden drei angeführt, darunter die auch bei Griechen beliebte Kathara und eine der im Alten Orient verbreiteten Harfen. Ein sonst übliches Schlaginstrument fehlt allerdings …“ (Koch, 279).

 

Welche Art von Musik wird gespielt? „Eine geregelte Mehrstimmigkeit, also Orchestermusik, ist erst mit der römischen Kaiserzeit nachweisbar. Doch die Musikhistoriker setzen für das altorientalische Altertum eine Heterophonie [Andersstimmigkeit] als spontanes Umspielen und Verzieren von Gesangsmelodien voraus.“ (Koch, 279).

 

Denjenigen, die den Befehl verweigern, wird angekündigt, dass sie „sofort in den brennenden Feuerofen geworfen werden“. Dabei handelt es sich um eine Form der Todesstrafe, die in der Umwelt bekannt war – auch als Strafe für Rebellion (Koch, 271.280). So zeigt auch die Strafandrohung, dass es beim Befehl, vor dem goldenen Bild niederzufallen und anzubeten, zugleich um die Anerkennung des Königsherrschaft Nebukadnezars geht.

 

Alle Anwesenden befolgen den Befehl – fast alle.

 

 

(8) Deshalb traten zur selben Zeit einige Männer heran, nämlich Sterndeuter, die die Juden verklagten. (9) Sie fingen an und sagten zum König Nebukadnezar: O König, lebe ewig! (10) Du, o König, hast den Befehl gegeben, dass jedermann, der den Klang des Horns, der Rohrpfeife, der Zither, der Harfe, der Laute und des Dudelsacks und alle Arten von Musik hört, niederfallen und das goldene Bild anbeten soll; (11) und wer nicht niederfällt und anbetet, der sollte in den brennenden Feuerofen geworfen werden. (12) Nun sind jüdische Männer hier, die du zur Verwaltung der Provinz Babel eingesetzt hast: Schadrach, Meschach und Abed-Nego. Diese Männer, o König, schenken dir keine Beachtung; deinen Göttern dienen sie nicht, und vor dem goldenen Bild, das du aufgestellt hast, werfen sie sich nicht nieder.


(8-12)
Im Zusammenhang mit der „Einweihung des Bildes“ als Test der „Staatstreue“ werden Schadrach, Meschach und Abed-Nego von den Chaldäern (der Begriff meint hier, anders als in 2,4, nicht „Sterndeuter“, sondern eine Volkszugehörigkeit) denunziert. Ausdrücklich wird betont, dass es sich um eine Aktion gegen „die Juden“ handelt.

 

Bei ihrer Audienz wiederholen die Denunzianten den königlichen Befehl und die damit verbundene Strafandrohung – und stellen anschließend fest, dass die jüdischen Männer, die der König „zur Verwaltung der Provinz Babel eingesetzt“ hat, diesen Befehl ignoriert haben. Dabei wird noch einmal deutlich, dass es um die Anbetung eines Götterbildes geht („deinen Göttern dienen sie nicht“), aber gleichzeitig um die Autorität des Königs („Diese Männer, o König, schenken dir keine Beachtung …“).

 

 

Daraufhin werden die drei jüdischen Männer vorgeführt und vom König verhört:

 

(13) Da befahl Nebukadnezar voller Zorn und Wut, Schadrach, Meschach und Abed-Nego herzubringen. Da wurden diese Männer vor den König gebracht. (14) Nebukadnezar fing an und sagte zu ihnen: Ist es Absicht, Schadrach, Meschach und Abed-Nego, dass ihr meinen Göttern nicht dient und euch vor dem goldenen Bild, das ich aufgestellt habe, nicht niederwerft? (15) Nun, wenn ihr bereit seid, zur Zeit, da ihr den Klang des Horns, der Rohrpfeife, der Zither, der Harfe, der Laute und des Dudelsacks und alle Arten von Musik hören werdet, hinzufallen und euch vor dem Bild niederzuwerfen, das ich gemacht habe, so ist es gut. Wenn ihr euch aber nicht niederwerft, dann werdet ihr sofort in den brennenden Feuerofen geworfen. Und wer ist der Gott, der euch aus meiner Hand erretten könnte? (16) Schadrach, Meschach und Abed-Nego antworteten und sagten zum König: Nebukadnezar, wir haben es nicht nötig, dir ein Wort darauf zu erwidern. (17) Ob unser Gott, dem wir dienen, uns erretten kann – sowohl aus dem brennenden Feuerofen als auch aus deiner Hand, o König, wird er uns erretten – (18) oder ob nicht: es sei dir jedenfalls kund, o König, dass wir deinen Göttern nicht dienen und uns vor dem goldenen Bild, das du aufgestellt hast, nicht niederwerfen werden.


(13-15)
Nebukadnezar befielt, Schadrach, Meschach und Abed-Nego herzubringen“. Als sie eintreffen, „setzt er mit einem nur rhetorisch gemeinten Verhör ein“ (Koch, 283) und fragt sie, ob sie seinen Göttern mit „Absicht“ nicht dienen. Aber er verhängt nicht sofort das Todesurteil, sondern gibt ihnen die Chance, das Versäumte nachzuholen. Wenn sie sich beim erneuten Klang der Musik vor dem Bild niederwerfen, „ist es gut“.

 

Dabei fügt er aber noch eine Schlussbemerkung hinzu: „Und wer ist der Gott, der euch aus meiner Hand erretten könnte?“ Damit will er ihnen sicher verdeutlichen, dass Widerstand zwecklos ist und sie zum Einlenken bewegen. Gleichzeitig wird deutlich, dass es bei der Anbetung des Götterbildes nicht um eine rein religiöse Angelegenheit geht, sondern um den Machtanspruch des Königs.

 

„Das Regime Nebukadnezars entpuppt sich als ein nicht nur absolutistisches, sondern als eine auf Vergötzung der eigenen Macht ausgerichtete Erscheinung. Für das Danielbuch ist es ein erheblicher Unterschied, ob der babylonische König einen polytheistischen Kult pflegt, was er weiterhin tun mag, oder ob er kultische Verehrung für eine glorifizierte Erscheinungsform seiner politischen Macht fordert und das allen Staatsdienern auferlegt, wenn sie nicht ihr Leben verlieren wollen.“ (Koch, 291).

 

(16-18) Die Antwort der drei jüdischen Männer geht direkt auf die Schlussbemerkung des Königs, seinen Machtanspruch, ein. Sie erklären: „Nebukadnezar, wir haben es nicht nötig, dir ein Wort darauf zu erwidern.“ Vers 17 lautet wörtlich übersetzt: „Wenn es unseren Gott gibt, den wir verehren, kann er uns aus dem Feuerofen und aus deiner Hand retten …“ (vgl. Koch, 251f.).

 

Außerdem erklären sie dem König, dass sie auch für den Fall, dass Gott sie nicht errettet, seinen Göttern nicht dienen und sich nicht vor dem goldenen Bild niederwerfen werden. Auch wenn es tödlich für sie enden sollte, werden sie auf ihrer Verweigerung beharren. Sie sind überzeugt: „Wo es um einen Erweis der Treue zur eigenen Religion geht, hat jeder natürliche Wunsch nach Überleben zurückzutreten.“ (Koch, 292).

 

 

Nach dieser klaren Antwort der drei jüdischen Männer ist Nebukadnezar außer sich vor Wut und steigert sich dabei ins Maßlose – und wird Zeuge eines Wunders.

 

(19) Da wurde Nebukadnezar voller Wut, und der Ausdruck seines Gesichts änderte sich gegenüber Schadrach, Meschach und Abed-Nego. Er begann und befahl, den Ofen siebenmal mehr zu heizen, als es ausreichend war. (20) Dann befahl er Männern, den stärksten Männern in seinem Heer, Schadrach, Meschach und Abed-Nego zu binden, um sie in den brennenden Feuerofen zu werfen. (21) Daraufhin wurden diese Männer in ihren Mänteln, Röcken und Mützen und ihren sonstigen Kleidern gebunden und in den brennenden Feuerofen geworfen. (22) Darum, weil das Wort des Königs so streng und der Ofen außergewöhnlich geheizt war, tötete die Flamme des Feuers jene Männer, die Schadrach, Meschach und Abed-Nego hinaufbrachten. (23) Und diese drei Männer, Schadrach, Meschach und Abed-Nego, fielen gebunden in den brennenden Feuerofen. (24) Da erschrak der König Nebukadnezar und erhob sich schnell. Er begann und sagte zu seinen Staatsräten: Haben wir nicht drei Männer gebunden ins Feuer geworfen? Sie antworteten und sagten zum König: Gewiß, o König! (25) Er antwortete und sprach: Siehe, ich sehe vier Männer frei umhergehen mitten im Feuer, und keine Verletzung ist an ihnen; und das Aussehen des vierten gleicht dem eines Göttersohnes.

 

(19-23) Wütend war Nebukadnezar bereits, als ihm vom Ungehorsam der Drei berichtet wurde (3,13). Jetzt aber steigert sich seine Wut ins Maßlose. „Sein Gesicht verzerrt sich, und er verliert jede vernünftige Überlegung.“ (Koch, 295). Er gibt den völlig unsinnigen Befehl, „den Ofen siebenmal mehr zu heizen, als es ausreichend war“ (hat das eine symbolische Bedeutung – auch im Hinblick auf die siebenfache Strafe Gottes im Gericht nach 3.Mos.26,18.21.24.28?).

 

Die Hinrichtung überträgt Nebukadnezar „kampferprobten, muskelstarken Landsknechten, als ob sich die Verurteilten mit Bärenkräften wehren würden“ (Koch, 295). Außerdem: „Um ganz sicher zu gehen, lässt er die drei Oppositionellen fesseln, als könnten sie aus solcher Umgebung noch in letzter Minute entfliehen.“ (Koch, 295). Auch auf das sonst übliche Entkleiden der Delinquenten wird verzichtet. Die Drei werden in voller Montur „in den brennenden Feuerofen geworfen“. Eine Nebenwirkung dieser unsinnigen Zornesaktion ist, dass die Elitensoldaten, die mit dem Vollzug der Todesstrafe beauftragt sind, ein Opfer der Flammen werden, die aus dem Ofen herausschlagen.  Nebukadnezar wird mehr und mehr zur Karikatur eines Tyrannen.

 

(24-25) „Kaum ist jedoch das Urteil ausgeführt, zeigt Nebukadnezar (von seinem Thron aufspringend? …) statt Zufriedenheit tiefe Bestürzung.“ (Koch, 296). Er sieht vier Männer unverletzt im Feuer umhergehen und traut seinen Augen nicht. Deshalb versichert er sich bei seinen Untergebenen, dass sie doch „drei Männer gebunden ins Feuer geworfen“ haben. Aber was er sieht, das sind „vier Männer frei umhergehen mitten im Feuer, und keine Verletzung ist an ihnen“. Das „Aussehen des vierten gleicht dem eines Göttersohnes“. Nebukadnezar ahnt daher, „dass sein Tötungsbefehl gegen den göttlichen Willen verstoßen hat, was ihn begreiflicherweise mit großer Angst erfüllt.“ (Koch, 297).

 

Wer aber ist der vierte Mann, dessen Aussehen „dem eines Göttersohnes“ gleicht? Frühe christliche Bibelausleger haben hier einen Hinweis auf Christus gesehen (ABC 4, 785). Uriah Smith, die prägende Gestalt der traditionell-adventistischen Auslegung der Bücher Daniel und Offenbarung, hat dazu bemerkt: „Man hat angenommen, dass diese Worte auf Christum Bezug haben sollten; aber es ist kaum glaublich, dass der König irgend einen Begriff von dem Heiland hatte. Er hatte in seinen Augen einfach das Ansehen eines überirdischen, oder göttlichen Wesens. Später nennt er ihn einen Engel.“ (Smith, 83). Dennoch deuten adventistische Bibelausleger den vierten Mann auf Christus – mit dem Hinweis, dass es sich um einen Engel handelt, womit der Erzengel Michael gemeint sei (10,13; 12,1), der in der Offenbarung des Johannes (Offb.12,7) mit Christus identifiziert werde (Shea I 107f., Stefanovic, 135f.). Fest steht, dass Nebukadnezar ihn in 3,28 als „Engel“ bezeichnet. Die meisten Bibelausleger lehnen es ab, über diese Aussage hinaus zu gehen (z.B. Koch, 299; Kessler, 54; Maier 163).

 

 

Durch dieses Wunder ändert sich alles.

 

(26) Da trat Nebukadnezar an die Öffnung des brennenden Feuerofens, begann und sagte: Schadrach, Meschach und Abed-Nego, ihr Knechte des höchsten Gottes, geht heraus und kommt her! Da gingen Schadrach, Meschach und Abed-Nego aus dem Feuer heraus. (27) Und es versammelten sich die Satrapen, die Statthalter, die Verwalter und die Staatsräte des Königs; sie betrachteten diese Männer, über deren Leib das Feuer keine Macht gehabt hatte: das Haar ihres Hauptes war nicht versengt, und ihre Mäntel waren nicht verändert, nicht einmal Brandgeruch war an sie gekommen. (28) Nebukadnezar begann und sagte: Gepriesen sei der Gott Schadrachs, Meschachs und Abed-Negos, der seinen Engel gesandt und seine Knechte errettet hat, die sich auf ihn verließen und das Wort des Königs übertraten und ihren Leib dahingaben, damit sie keinem Gott dienen oder ihn anbeten müssten als nur ihren Gott! (29) So ergeht nun von mir der Befehl, der jedes Volk, jede Nation und Sprache betrifft: Wer über den Gott Schadrachs, Meschachs und Abed-Negos etwas Verächtliches sagt, soll in Stücke gehauen werden, und sein Haus soll zu einem Misthaufen gemacht werden. Denn es gibt keinen anderen Gott, der so erretten kann. (30) Sodann beförderte der König Schadrach, Meschach und Abed-Nego in der Provinz Babel.

 

(26) Nebukadnezar begibt sich höchstpersönlich „an die Öffnung des brennenden Feuerofens“, also an die Stelle, zu der die Verurteilten hinaufgebracht  (V.22) und von wo sie in den Ofen hineingeworfen worden waren (V.6.11.15.21). Er bittet die drei jüdischen Männer – von der vierten Person ist nicht mehr die Rede – herauszukommen und zu ihm zu kommen. Dabei bezeichnet er sie als „Knechte des höchsten Gottes“ (vgl. 3,32; 4,14.21.29.31; 5,18.21; 7,25). Er versteht den Gott, dem sie dienen, als obersten Gott. Damit „wird bei Nebukadnezar keine Verleugnung seines Polytheismus vorausgesetzt, wohl aber die Ahnung von einem letzten, einheitlichen Zentrum göttlichen Wesens und Wollens“ (Koch, 301).

 

(27) „Die gesamte Hierarchie der Würdenträger strömt zusammen und begutachtet die Geretteten, selbst die Satrapen beteiligen sich. Ihre Untersuchung stellt übereinstimmend die vierfache Unversehrtheit fest: keine Körperverletzung, kein Haar versengt, selbst die schnell in Brand geratenden Gewänder heil, noch nicht einmal ein Ruch von Rauch haftet ihnen an.“ (Koch, 301f.)

 

(28) In der anschließenden kurzen Ansprache König Nebukadnezars wird deutlich, wie er dieses Ereignis deutet: Der „Gott Schadrachs, Meschachs und Abed-Negos hat „seinen Engel gesandt“ (vgl. Ri.3,3-5; 2.Mos.23,20-22; 2.Kön.19,35; Sach.1,7-17; Mal.3,1), um die zu retten, die sich auf ihn verlassen haben und trotz des drohenden Martyriums das „Wort des Königs übertraten …damit sie keinem Gott dienen oder ihn anbeten müssten als nur ihren Gott!“.

 

(29) Diesem Bekenntnis folgt ein „Akt der Gesetzgebung“ (Koch, 305). Für „jedes Volk, jede Nation und Sprache“ des Reiches wird ein „Gotteslästerungsparagraph“ erlassen. Wer über den Gott der drei jüdischen Männer „etwas Verächtliches sagt“ wird schwer bestraft (zur hier angedrohten Strafe vgl. 2,5).

 

Die Begründung für den Erlass lautet: „Denn es gibt keinen anderen Gott, der so erretten kann.“ „Wenn Nebukadnezar bekennt, dass kein anderer Gott retten kann wie dieser, degradiert er reichsöffentlich seine eigenen babylonischen Kulte. Das hat kein Herrscher des Altertums je getan …“ (Koch, 305). Das ist auch der Grund, weshalb Bibelausleger die Historizität eines solchen Erlasses bezweifeln: „Das … wäre politischer Wahnsinn gewesen. Hier setzt sich ein Wunschtraum vom idealen Fremdherrscher in der Legende durch.“ (Koch, 305).

 

(30) Die Erzählung schließt mit dem Hinweis auf die Beförderung der drei jüdischen Männer. Im Vergleich mit 2,49 und 3,12 wird deutlich, dass er sie eigentlich „lediglich“ wieder in ihre bisherige Position einsetzt.

 

 

Zusammenfassung: Gegenüber einem Staat, der Anbetung erzwingen und zu seiner Machterhaltung einsetzen will, ist Widerstand zu leisten. Die Mächtigen sollen die Überlegenheit Gottes anerkennen und den Gläubigen eine freie Ausübung ihrer Religion ermöglichen.